Spiritualitätsformen

Benediktinische Familie

Geschrieben von (ksf) am 12.12.2011
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Der Wandel vor Gott

 

Er ist die selbstverständliche Folgerung aus der unmittelbaren Gottesnähe, in der wir als Gotteskinder leben. Der hl. Benedikt fasst den Wandel vor Gott deshalb in der ersten Stufe der Demut als die Grundlage unseres ganzen geistlichen Lebens, das nichts anderes sein will als ein ständiges Ausschauen und Suchen nach Gott. Zu diesem Wandel vor Gott erzieht zunächst das klösterliche Leben, treu geübt, von selbst. Schon die Klausur des Klosters hält viel Zerstreuung und Abhaltung fern und wird deshalb von der heiligen Regel als Werkstätte der geistlichen Kunst bezeichnet (Kap. 4). Das ernst beobachtete Schweigen gibt Zelle und Kloster die Weihe eines Gotteshauses, wo der Mönch im heiligen Frieden vor Gott sein Tagwerk vollbringt.

 

Der Gehorsam weiht Leben und Arbeiten des Mönches zu einem ständigen heiligen Gottesdienst. "Denn der Gehorsam, den man den Obern leistet, wird Gott erwiesen" (Kap. 5). Nach dem hl. Franz von Sales (Theotimus) ist "sich immer dem Willen Gottes hingeben und wollen, was er will", die beste Art und Weise, sich in der Gegenwart Gottes zu halten. Das heilige Offizium, auf die verschiedenen Tagzeiten verteilt, hebt die Seele immer wieder zu Gott empor und führt aus den Sorgen und Unruhen des Marthadienstes in die selige Ruhe zu den Füßen Jesu. Ein leichtes und einfaches Mittel, die Sammlung auch während der Arbeit ohne deren Störung zu erneuern, sind die kurzen Stoßgebete, welche schon die Altväter in der Wüste mit Eifer gepflegt haben.

 

Dazu dienen neben kurzen Ablaßgebeten vor allem Gebetsrufe der Heiligen Schrift, wie sie das heilige Evangelium und die Psalmen in Fülle bieten. Auch Gedanken aus dem Offizium oder der Morgenbetrachtung mögen, zumal an Festtagen, die Seele untertags wieder neu zum Verkehr mit Gott anregen. In unsern Klöstern ist es Sitte, einen Tag im Monat, von sonstigen Arbeiten möglichst frei, geistlichen Übungen zu widmen. Es ist dies weise angeordnet, um der Gefahr, sich zu sehr ins Irdische und Weltliche zu verlieren, der auch der Mönch ausgesetzt ist, vorzubeugen. Nütze dankbar diese dir gebotene Freiheit aus, um dich wirklich ernst mit Gott und Göttlichem zu befassen.

 

Die Betrachtung

 

Nächster Sinn des betrachtenden Gebetes ist die seelische Aneignung der Werte und Wahrheiten der Glaubenswelt und damit Stärkung, Vertiefung, Verlebendigung des Glaubens. Bei dem gefallenen Zustand unserer Natur wird die übersinnliche und übernatürliche Welt des Glaubens nicht ohne positive Arbeit unser persönliches Eigentum. Es genügt nicht, um die Wahrheiten zu wissen. Geist und Herz müssen davon ergriffen und ausgefüllt werden. Nur dann wird der Glaube wirklich Lebenswurzel: "Der Gerechte lebt aus dem Glauben" (Hebr 10, 38). Darum ist betrachtendes Erwägen der heiligen Wahrheiten so alt wie die Offenbarungen selbst. Schon der erste Psalm beginnt mit dem Preis des Mannes, der im Gesetz des Herrn Tag und Nacht betrachtet.

 

Der heilige Vater Benedictus sagt uns im ersten Grad der Demut (Kap, 7), wie lebendig er den Gottesglauben in der Seele seiner Mönche sich denkt. Er soll den Mönch so ergreifen, dass er Gott nicht mehr vergessen kann, dass er in ständiger heiliger Gottesfurcht verharrt und jede Sünde ernst meidet. Diese starke Einwirkung des Gottesgedankens hat der heilige Benedikt gewiss aus seinem Gebetsleben in der Einsamkeit von Subiaco gewonnen, wo er drei Jahre lang "unter den Augen des himmlischen Beschauers bei sich selbst wohnte . . . und das Auge des Geistes nicht außer sich umher schweifen ließ" (Dial. 2, 3). Das Mühen um die innere Ergriffenheit von Gott und seiner Glaubenswelt ist heute für den Mönch noch schwieriger und zugleich dringlicher, wo wir auch im Kloster den unruhigen Wellenschlag der Welt und Zeit unablässig spüren und dadurch zu leicht nach außen in die Zerstreuungen der Welt gezerrt werden. Die ganze Durchschlagskraft der heiligen Regel gründet zudem auf der persönlichen Ergriffenheit des Mönches von den Wahrheiten und Wirklichkeiten des Glaubens. Nach der heiligen Regel (Kap. 58) ist das entscheidende Kennzeichen eines wahren Ordensberufes, wenn Gott der Seele im lebendigen Glauben so starke Wirklichkeit geworden ist, dass es ihre große, alles beherrschende Sorge ist, wahrhaft Gott zu suchen. Darum liebt die heilige Regel auch die milde Form der väterlichen Ermahnung, die, wo es nicht um Sünde geht, selten streng gebietet, sondern sich begnügt, einfach auf das Wort Gottes in der Heiligen Schrift oder auf die großen Glaubensmotive zu verweisen. Eine solche Führung ist nur für Seelen berechnet, die wirklich aus den Glauben leben. Wo der Mönch es versäumte, durch ernste Pflege des innerlichen Lebens sich für das Licht und die Kraft der Glaubensgnade offen zu halten, würde er von der heiligen Regel wenig angesprochen. Dazu kommt, dass das innerklösterliche Leben nur dann für den Mönch fruchtbar wird, wenn Geist und Herz von dem Reichtum und der Herrlichkeit der Glaubenswelt ausgefüllt sind. Das bewahrt ihn vor Müdigkeit und Erschlaffung wie vor geistiger Enge, die nur mit den eigenen kleinen Interessen sich abgibt.

 

Gewiss dient dazu vorerst das liturgische Gebet mit seiner unerschöpflichen Fülle von Anregungen für Herz und Geist des Beters. Aber gerade um diesen Reichtum tatsächlich zu gewinnen und fürs Leben fruchtbar zu machen, braucht es zu dem liturgischen Gebet noch das eigene, persönliche Beten. Wo das liturgische Beten wirklich ernst genommen wird, empfindet die Seele von selbst auch das Bedürfnis, das darin Gebotene in stillem Auskosten ins eigene Leben hereinzunehmen. Die Feier der heiligen Liturgie selbst lässt zu wenig Zeit hierfür. Darum haben auch die Mönche von Anfang an neben dem Opus Dei das innerliche Gebet gepflegt, einmal in unmittelbarem Anschluss an das Chorgebet (vgl. Dial. 2, 4) und dann in der täglich mehrstündigen lectio divina, die mit meditatio gleichbedeutend galt. Eine gewisse, nicht zu streng gehandhabte Methode in der Betrachtung wird zumal für Anfänger gut sein, da Betrachtung ernste Geistesarbeit erfordert, die geübt und gelernt sein will. Eine psychologisch bedingte Ordnung wird jeder Methode zu Grunde liegen, etwa in dem Sinn, dass man erst die Wahrheit selbst klar zu erkennen sucht, dann ihre Lebenswerte beachtet und diese auf das eigene Leben anwendet. Daraus ergeben sich Affekte und Entschlüsse, die ein persönliches Beten anregen. Je mehr die Betrachtung zum Gebet wird, umso fruchtbarer wird sie. Denn Stärkung und Vertiefung des Glaubens, das eigentliche Ziel der Betrachtung, ist vor allem Frucht des Gebetes. Mit dem Wachstum im Glauben wird sich von selbst eine Vereinfachung der Akte der Betrachtung ergeben, da dann die Seele unmittelbarer und stärker von den Wahrheiten angesprochen wird.

 

Was den Stoff der Betrachtung angeht, so ist sicher der erhabenste und fruchtbarste die Lehre, das Leben und die Person unseres Herrn Jesus Christus, wie sie uns aus den Evangelien und den Apostelbriefen entgegenleuchten. Wen sollte es mehr drängen, Christus kennen und lieben zu lernen als den Mönch, der alles verlassen hat, um Christus zu gewinnen? Unser heiliger Vater Benedictus ist hierin Führer und Vorbild. Alle Forderungen des monastischen Berufes, besonders die schwereren, die Liebe, den Gehorsam, die Demut, leitet er von Christi Beispiel und Lehre ab und legt uns Christusliebe als stärkstes Motiv nahe. Eine zweite Quelle der Betrachtung, die von Christi Geist ganz erfüllt ist, ist die heilige Liturgie. Da begleiten wir ständig an Hand der heiligen Kirche Christus in den Geheimnissen seines Lebens, Leidens und seiner Verherrlichung und erfahren zugleich deren Gnadenwirken, das die Seele mehr und mehr in Christus umgestaltet. So lernen wir dabei von innen heraus denken und fühlen wie Er. Die Betrachtung des heiligen Offiziums wird sich besonders empfehlen, wenn du an Festtagen, von der liturgischen Feier tiefer ergriffen, von selbst dich gedrängt fühlst, diese Quelle noch mehr auszuschöpfen. Nicht selten erfährt ja die Seele durch die Heimsuchung der göttlichen Gnade beim heiligen Offiziums eine Fülle von Anregungen und Erleuchtungen, dass sie auch nachher bei der Betrachtung sich nur schwer andern Erwägungen zuwenden kann. In solchen Fällen folge in Einfalt dem Zuge der Gnade und hüte dich, das Wirken des Heiligen Geistes eigenmächtig zu stören.

 

Nach der Betrachtung der Heiligen Schrift und der heiligen Liturgie liegt dem Mönch nichts näher als die Betrachtung der heiligen Regel. In ihr findet er ja nur das heilige Evangelium selbst wieder, wie der hl. Benedikt es auf unser monastisches Leben angewandt denkt. Er will ja in der heiligen Regel nichts anderes, als "unter Führung des Evangeliums die Wege Christi gehen" (vgl. Prolog). Bei Betrachtung der heiligen Regel nimm vor allem immer wieder das väterliche Mahnwort des Prologs und die grundlegenden Kapitel über die monastischen Tugenden vor und übersieh auch nicht die grundsätzlichen Bemerkungen, die unter die Bestimmungen über die klösterlichen Übungen eingestreut sind und deren Sinn erschließen. Die Betrachtung der heiligen Regel begleite mit ehrfürchtigem, liebendem Aufblick zum heiligen Vater Benedictus, damit du mit der Kenntnis und Hochschätzung der heiligen Regel zugleich an kindlicher Verehrung deines heiligen Ordensvaters wächst, die dir die treue Beobachtung der heiligen Regel immer mehr zur Herzenssache macht.

 

Diese drei Quellen der Betrachtung mögen wohl fürs Leben genügen. Da es jedoch Anfängern nicht immer leicht wird zu betrachten, ohne einen vorbereiteten Betrachtungsstoff zur Hand zu haben, so steht nichts im Wege, auch eigentliche Betrachtungsbücher zu benützen, namentliche solche, welche ansprechende Erklärungen der Heiligen Schrift, der Liturgie und der heiligen Regel bieten und in ihren Anwendungen fürs Leben mit den Grundsätzen der heiligen Regel übereinstimmen.

 

Die geistliche Lesung

 

Beim heiligen Benedikt erscheint die geistliche Lesung als reguläre Übung in Verbindung mit "inbrünstigem Gebet und Zerknirschung des Herzens" (Kap. 49). Danach gehört sie in der Auffassung des heiligen Vaters offenbar zum Gebetspensum des Mönches, wenn sie auch nicht so unmittelbar Verkehr mit Gott ist wie das eigentliche Gebet. Aber sie will zu Gott führen, indem sie dem Geist die Reichtümer der Glaubenswelt erschließt und so den Glauben klärt und vertieft, ihm "sichere Norm" bietet für das Leben, "zur Höhe der Vollkommenheit führt", lehrt, "wie man geradewegs zu unserem Schöpfer gelangt" (Kap. 73).

 

Tieferes Erfassen der Glaubenswahrheiten im Geiste des Gebetes wird vom Herrn wie von den Aposteln, namentlich von Johannes und Paulus, als unerlässliche Aufgabe des Christen bezeichnet. Dazu eben sendet der Herr den Seinen den Heiligen Geist, damit er sie "in alle Wahrheit einführe" (Jo 16, 13). Der vollkommene Christ ist nach Paulus der "Geistmensch, der alles beurteilt" (vgl. 1 Kor 2, 14 ff), oder nach Johannes, der "Salbung vom Heiligen Geist empfangen hat und alles erkennt" (1 Jo 2, 20). Der Apostel Paulus betet für seine Gläubigen um den Geist der Wahrheit und Offenbarung, damit sie einsehen, wie herrlich und reich ihr Erbe ist (vgl Eph 1. 17). Er wünscht ihnen, dass "sie zur reichen Fülle der Einsicht gelangen, zur Erkenntnis der Geheimnisse Gottes, das ist Christi, in dem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen sind" (Kol 2, 3). Gewiss ist eine solche tiefere Erkenntnis vom Apostel zunächst als Gnadengabe gedacht, aber diese Gnade wird ohne Mitwirkung des Menschen in ernster, liebender Beschäftigung mit der Wahrheit nicht fruchtbar.

 

Tatsächlich liegt schon im Wesen unseres christlichen Gnadenlebens, vorab in seinen Hauptkräften, den drei göttlichen Tugenden, der Drang nach einem tieferen Erkennen Gottes und seiner Offenbarung begründet. Es ist der "Durst des Glaubens", von dem die Kirche bei der Taufwasserweihe spricht. Unser Gnadenleben geht nicht auf im bloßen sittlichen Streben, es ist zutiefst auf Erfassen und Kosten der Herrlichkeiten des dreieinigen Gottes angelegt, das einst in der Gottesschau der Ewigkeit nur seine Vollendung finden soll.

 

Für sie bereiten wir uns vor, wenn wir uns bemühen, in Lesung und Studium tiefer in die Schätze der Glaubenswelt einzudringen. Geistliche Lesung ist demnach von großer Bedeutung für ein hoch gestimmtes Glaubensleben. Damit sie für dich fruchtbar werde, bete vor der Lesung mit dem Apostel um "erleuchtete Augen des Herzens" (Eph 1, 18), damit dir mehr und mehr "aufleuchte die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes" (2 Kor 4, 6). Denke beim Lesen zunächst daran, für dein eigenes Leben Anregung und Belehrung zu gewinnen. Sei nach dem Wort des hl. Bernhard für die Wasser des Heiles "Becken, nicht Röhre. Diese nimmt Wasser auf, um es sofort weiter zu geben. Jenes wird erst selbst voll und gibt dann aus dem Überfluss, ohne selbst leer zu werden" (Pred. 18 üb. d. Hohe Lied).

 

Lies der Ordnung nach (Kap. 48), so dass du, wenn nicht ein vernünftiger Grund dagegen spricht, das Buch von Anfang an bis zum Schluss durchgehst. Ungeordnetes Lesen zeugt von Oberflächlichkeit und zerstreut mehr als es belehrt. Lies besinnlich und ruhig, bei wichtigeren Stellen mit der Feder in der Hand, um sie dir schriftlich festzuhalten. Nach der Lesung danke Gott für die geistliche Nahrung, wie du nach Tisch für die leibliche Speise dankst. Nimm die Gedanken, die du aus der Lesung geschöpft hast, mit in den Tag und in die Arbeit und lass dich dadurch zur Sammlung und zum Gebet anregen.

 

Was die Auswahl der Bücher angeht, genügt es nicht, im Allgemeinen gute und fromme Bücher zur Hand zu nehmen. Die Lesung muss deiner Fassungskraft und vor allem deinem Beruf angepasst sein, soll sie dich nicht eher verwirren als fördern. Um richtig zu wählen, hole dir den Rat deiner Oberen ein. Den ersten Platz nimmt unstreitig die Heilige Schrift ein. In ihr ist nach dem Zeugnis der Heiligen Regel (Kap. 73) "keine Seite und kein Ausspruch, die uns nicht eine durchaus sichere Richtschnur für unser Leben" böten. Enthält sie doch Gottes Wort, von dem nach des Herrn Versicherung (Mt 4, 4) die Seele lebt wie der Leib vom Brot. "Lerne das Herz Gottes aus der Sprache Gottes kennen" (Gregor d. Gr., Brief 4, 31). Lies vor allem die heiligen Evangelien mit liebender Aufmerksamkeit. Halte dich dabei im Geist wie Maria zu den Füßen Jesu; erwäge sinnend die Geheimnisse seines Lebens und nimm heilsbegierig seine Worte auf, die eine ganz andere Kraft als Menschenworte haben, da sie "Geist und Leben" (Jo 6, 14) sind.

 

Die Apostelgeschichte zeichnet uns Leben und Geist der Erstlingskirche, die noch glüht vom Feuer des Heiligen Geistes. In ihr sehen wir das Urbild unseres Mönchtums, auf das die heilige Regel wiederholt verweist. Die Briefe der heiligen Apostel, vorab des heiligen Paulus, sprechen so ergreifend davon, was ihnen Christus und seine Gnade bedeutet, dass sie uns unmittelbar Führer sind zu dem, was der hl. Benedikt als Ziel und Inbegriff der ganzen heiligen Regel uns vorhält: "Christus durchaus nichts vorziehen" (Kap. 72). Das Alte Testament, das als inspiriertes Gotteswort für alle Zeiten seine Geltung behält, lies so, dass du auch da den Spuren Christi nachgehst, der, wenn auch verhüllt, durch das ganze Alte Testament geht, wie er es selbst bezeugt: "Von mir hat Moses geschrieben" (Jo 5, 46) und wie die heilige Kirche in ihren Lesungen aus dem Alten Testament uns das Beispiel gibt. Sehr zu empfehlen ist, für jeden Tag eine fortlaufende Schriftlesung zu halten, worin man bei den einzelnen Versen nicht länger verweilt als nötig, um sie in ihrem Literalsinn zu verstehen.

 

Die Frucht einer solchen fortlaufenden Schriftlesung ist eine größere Vertrautheit mit der Heiligen Schrift, die viel zum Verständnis ihres Sinnes beiträgt. Begegnen dir beim Lesen schwierigere Stellen, so schließe dich in demütigem Gehorsam der Auslegung der heiligen Kirche an, die vom selben Heiligen Geist erleuchtet ist, der die Heiligen Schriften inspiriert hat. Von Zeit zu Zeit nimm ein Buch der Heiligen Schrift zu eingehenderem Studium vor und halte dich, nachdem dir der Literalsinn erschlossen ist, nach Mahnung der heiligen Regel (Kap. 9; 73) besonders an die Auslegungen der heiligen Väter. Die heilige Regel hören wir täglich in der Prim und bei Tisch und wir neigen dabei, wie der hl. Benedikt selbst mahnt (Prolog), mit Ehrfurcht und Dankbarkeit das Ohr des Herzens und nehmen willig die kostbaren Lehren und Ermahnungen des großen Meisters und liebenden Vaters auf.

 

Dass uns diese Lesung nicht genügt, dass wir sie in liebender Betrachtung vertiefen und in unser Leben hinein nehmen, haben wir bereits gehört. Es ist Brauch in unseren Klöstern, das Regelbuch, so oft wir es zur Hand nehmen oder weglegen, ehrfürchtig zu küssen, ebenso nicht leicht ein anderes Buch auf die heilige Regel zu legen. Zur heiligen Regel kommt als ihr authentischer Kommentar das Leben des heiligen Vaters Benedictus, das sein größter Sohn, Papst Gregor der Große, geschrieben hat. Es ist die sprechende Illustration der heiligen Regel, da nach dem Zeugnis des heiligen Gregor "der heilige Mann unmöglich anders lehren konnte, als er gelebt hat" (Dial. 2, 36). Der Lehre und dem Geist der heiligen Regel sind in besonderer Weise die Werke der heiligen Kirchenväter verwandt, die der hl. Benedikt am Schluss seiner Regel gleichsam als deren Ergänzung angelegentlich empfiehlt. "Die heiligen Väter stehen den Offengarungsquellen noch sehr nahe. Man spürt in ihren Schriften die Nähe des Wortes Gottes, die unmittelbare Berührtheit von ihm, die Ergriffenheit. So stehen die Väter in der Mitte zwischen den Aposteln und den späteren Theologen. Was des halb beim Lesen der Schriften der Kirchenväter so unmittelbar berührt, ist das Lebensvolle. Was sie sagen, wächst aus ihrem lebendigen, glühenden Glauben. Die Väter leben ganz in und aus der Heiligen Schrift. Ihre Worte kommen ihnen unwillkürlich auf die Lippen, wenn sie den Ausdruck für ihre Gedanken suchen. Ihren Geist haben sie tief in sich aufgenommen. Wer an der Lektüre der Kirchenväter Freude haben und Nutzen aus ihr ziehen will, muss vor allem eines mitbringen: ein gläubiges, christusliebendes Herz.

 

Nie darf man an die Väterschriften herantreten wie an andere rein weltliche Bücher. Wie es der lebendige Christusglaube ist, aus dem die Väter geschrieben haben, so können sie auch nicht anders verstanden werden, als aus diesem lebendigen Christusglauben heraus. Dem Gläubigen aber ist die Väterlesung eine Quelle herzstärkender Belehrung und einer tiefen und großen Freude. (Leo v. Rudloff O. S. B., Das Zeugnis der Väter, Vorwort). Von Weltlicher Lektüre spricht die heilige Regel nie, sie gehört nicht zum ordentlichen Pensum des Mönches. Das will indes nicht besagen, dass edle, geistig hochstehende Literatur in unseren Klöstern stets eine Heimstätte gefunden hat. Ist es unserem Orden doch zu verdanken, dass der ganze Reichtum der alten klassischen Literatur der Menschheit erhalten blieb. Lektüre edler Werke ist ähnlich wie die Pflege der Kunst von hoher Bedeutung für wahre Geistes- und Herzensbildung.

 

Wenn sie in diesem Sinne, also als Erziehung zu einem gesunden, hochwertigen Geistesleben gepflegt wird, darf sie wohl im Organismus des klösterlichen Lebens einen Platz finden. Allerdings wird der reife Mönch und Priester neben den Anforderungen des regulären Lebens und den ernsten Berufsarbeiten wenig Zeit für weltliche Lektüre frei haben und wird Zeit und Kraft jedenfalls zuerst der geistlichen Lesung widmen.

 

 


Letzte Änderung: 13.12.2011 um 01:13

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