Betrachtungen
Leidensbetrachtungen 61 - 65 |
Geschrieben von (ksf) am 27.07.2012 |
Nr. 61
Punkt III - Um das Leiden Jesu Christi im Ölgarten recht zu verstehen, müssen wir von der Überzeugung ausgehen, dass er nicht durch Zufall von Furcht und Angst ergriffen wurde. Es verhält sich bei ihm nicht wie bei uns, die wir aus menschlicher Schwachheit nicht umhin können, bei Widerwärtigkeiten Betrübnis und Bitterkeit zu empfinden. Dem Gottmenschen aber kann wider seinen Willen nichts geschehen. Furcht, Traurigkeit und Bedrängnis, die ihn sogar in Todesohnmacht versetzt, kann bei ihm nur eintreten, weil er dies nach dem Ausspruch des Propheten selbst will.
Betrachtung - Die Leidensfähigkeit Jesu Christi beruht auf seiner menschlichen Natur. Jedoch kann diese nicht angeregt werden, außer auf Anordnung seiner übernatürlichen Kraft, so dass jede Anwandlung von Traurigkeit, Entsetzen und Furcht in ihm freiwillig ist. So wie er nach feiwillig gewählten Umständen Mensch geworden ist, erleidet er auch die Armseligkeiten des Menschen in den Schwachheiten der Natur, gerade zu der Zeit und in dem Maße, wie er es will. So wie das Leiden seines Körpers ganz freiwillig ist, müssen wir auch das Leiden seiner Seele als feiwillig ansehen. Hieraus will ich folgenden Schluss beherzigen: Hätte auch Jesus Christus aus Zwang irgend einer Notwendigkeit gelitten, so wäre ich ihm schon deswegen zu größtem Dank verpflichtet, weil er durch seine hohen Absichten aus der Notwendigkeit eine Tugend gemacht und dadurch dem ewigen Vater ein großmütiges Opfer für mich dargebracht hätte. Was muss ich also daraus folgern, da bei ihm kein Zwang bestand, und er all sein Leiden aus dem freiem Entschluss seines liebevollen, erbarmenden Willens erduldet hat?
Zwiegespräch - O guter Jesus, wie viel bin ich dir schuldig für jene Geistesmarter, womit du deine Seele erfüllt hast, um mir die geistlichen Tröstungen zu verdienen? Wie viel schulde ich dir für die Furcht und das Entsetzen, das du in deinem Gefühl erregt hast, um meinen so schwachen Geist in der Tugend zu stärken? Befinde ich mich in irgendeiner Betrübnis, so denke ich sogleich an Dinge, die mich aufrichten, die meine Plage vermindern und mein Leiden möglichst erleichtern. Du aber richtest deine Gedanken darauf, wie du dich noch mehr martern könntest, um mir ebenso große als außerordentliche und unerhörte Beweise deiner Liebe zu geben. O göttlicher Mittler, der du mit Betrübnis und Angst erfüllt bist, um unsere Furcht in Trost zu verwandeln und uns die Hoffnung des ewigen Heiles zu versichern, ach verleihe, dass ich deiner Liebe entspreche. Ich möchte dich lieben, aber überaus armselig ist mein Herz. Darum schenke mir gnädig deine Liebe durch die Verdienste deiner Seele, die im Garten so tief betrübt und so überaus geängstigt war.
Vorsatz - Zur Nachahmung Jesu Christi, der aus freiem Entschluss leidet und aus Liebe zu mir für sich selbst die Leiden bestimmt, nehme ich mir vor, mich aus Liebe zu ihm freiwillig abzutöten und das notwendige Leiden zu einem freiwilligen zu veredeln.
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Nr. 62
Punkt IV - Um die tiefste Traurigkeit zu erfahren, erweckt Jesus Christus in sich selbst alle möglichen, niederschlagenden Gedanken, die ihn in die größte Angst und Betrübnis versetzen. In einem Akt vollkommenster Tugendkraft stellt er sich die Reihenfolge seiner schmachvollen und schmerzlichen Leiden vor und zwar nicht nur allgemein, sondern einzeln mit sämtlichen Umständen der Entehrungen und Qualen, die er in Kürze auszustehen haben wird.
Betrachtung - Er sieht voraus, wie viele Verunglimpfungen und Misshandlungen ihm zugefügt werden, mit wie vielen Backenstreichen sein Angesicht geschlagen, mit wie vielen Schlägen sein Körper zerfleischt, mit wie vielen Dornen sein Haupt durchstochen werden wird. Er sieht die Zahl der Wunden, die man seinem Körper schlagen wird, die Menge des Blutes, das aus seinen Adern spritzt, die Größe des inneren Schmerzes, den er fühlen, die Todesart, die er erleiden wird. Indem er alle diese qualvollen Vorstellungen in seinem zartfühlenden Herzen vereinigt, drückt er sie diesem so empfindlich ein, dass er in seinem Gefühl alles auf einmal erleidet, was er an seinem Körper nach und nach auszustehen haben wird. So bringt er sich in jedem Augenblick für uns zum Opfer dar. Bedenke, meine Seele, dass bei Jesus Christus das Empfinden äußerst lebhaft ist. Da sich die Tätigkeiten und Organe seiner Menschheit in einem Zustand höchster Vollkommenheit befinden, muss auch seine Traurigkeit den höchsten Grad erreichen. Man denke sich die schaudervollsten Bilder, wodurch alle Menschen zugleich verwirrt, erschreckt und betrübt werden könnten. Eine solche Vorstellung stünde mit dem quälenden Gefühl Jesu Christi in keinem Vergleich, denn dieses übersteigt alle Begriffe. Durch den Propheten sagt er uns, wir sollen jeden Schmerz, den er entweder am Leibe oder an der Seele erleidet, als etwas ganz und gar Unvergleichliches betrachten.
Zwiegespräch - Heiligster Erlöser, wie streng verfährst du mit dir selbst, um dich mir gegenüber barmherzig zu erweisen! In deiner Barmherzigkeit bete ich deine göttliche Weisheit an. Du hast in der Gefühlskraft deines Herzens eine so grausame Pein erleiden wollen, weil meine Sünden von keiner anderen Quelle herrühren, als von dem Willen des Fleisches und von der Begierlichkeit des Herzens. Aus deiner Leidensfähigkeit hast du dir ein Kreuz geschaffen, weil mein Unheil eben in der Unordnung der Leidenschaften besteht. Du hast dich mit Furcht erfüllen wollen, um mir durch deine Verdienste Ruhe und Sicherheit zu gewähren. O mein Jesus, verleihe mir, an den Früchten dieser Verdienste teilzuhaben. Reinige mein Herz von aller Schuld und tilge darin jede boshafte Neigung. Erneuere es durch einen wahren Bußgeist, damit ich alles von Herzen bereuen möge, womit ich zur Ursache deiner so bitteren Traurigkeit geworden bin. Eben dies hast du bei deinem Seelenleiden beabsichtigt. Es sei daher auch die Frucht, die ich daraus ziehen will.
Vorsatz - Aus dem inneren Leiden Jesu Christi kann ich erkennen, dass ich bei mir den inneren Menschen umgestalten muss. Deshalb will ich auf diese Umwandlung ernstlich bedacht sein und vor allem jene Leidenschaft ordnen, die ich an mir als am meisten ungeregelt erkenne.
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Nr. 63
Punkt V - Das gewaltigste Leiden, das den fühlenden Teil der Seele Christi im Garten quält, ist die Furcht vor dem grausamen, nahen, unausweichlichen Tod. Er steht ihm wegen der Zerstörung seines kostbaren Lebens als eines der größten Übel in der Ordnung der Natur vor Augen. Es ist wahr, dass auf seinen schmählichen Tod die glorreiche Auferstehung folgen wird, doch das sinnliche Begehren, dessen Trieb nur dahin zielt, das gegenwärtige Leben zu lieben, schaut nicht weiter. Es erschaudert vor dem Tod und fürchtet ihn mit verzagtem Erbeben. Es betrübt, sträubt und widersetzt sich und möchte nicht sterben. Weil Jesus aber wegen des göttlichen Ratschlusses, dem sich seine Vernunft unterwirft, dem Tod nicht entgehen kann, erleidet seine Menschheit, die an ihrer schwachen Stelle erschüttert ist, gerade wegen dieses Kampfes zwischen der gehorsamen Vernunft und der widerstrebenden Sinnestätigkeit, wahre Todesschmerzen. Die Furcht des Todes beängstigt und erdrückt sie.
Betrachtung - Man erwäge jedoch, wie bei allem die weise Fügung Gottes waltet, die es zulässt, dass die Sinne widerstreben, damit nach der Größe dieses Sträubens der Gehorsam des Erlösers um so tugendreicher und verdienstlicher sei, um den Ungehorsam des Adam zu sühnen. Er lässt es zu, dass das Herz Jesu im Gehorsam gegen den Willen des Vaters vom Widerstreben des Fleisches und der Sinne gequält wird, weil eben von dieser Begierlichkeit des Fleisches und der Sinne alle Sünden ihren Ursprung nehmen.
Zwiegespräch - Mein Jesus, mein Gott, welch vortrefflichen Unterricht hast du mir im Garten erteilt, damit ich lernen möge, wie ich deinen heiligen Geboten gehorchen soll, ungeachtet aller Leidenschaften, aller Abneigungen und allen Widerstrebens der Natur. O wie glücklich wäre ich, wenn ich dir wenigstens hierin in der Tat nachfolgen würde! Ich bereue, dass ich den Neigungen des Fleisches und der Sinnlichkeit so oft keinen Widerstand geleistet und dadurch deine göttliche Majestät so vielfältig beleidigt habe. Ich verspreche, dir in Zukunft zu gehorchen und gegen mich selbst Gewalt zu gebrauchen. Weil aber in mir der Widerstand gegen die Tugend stark, und der Geist schwach ist, und ich einzig nur auf deine Verdienste und deinen Beistand bauen kann, siehe, so übergebe ich dir mein armseliges Herz. Aus sich selbst vermag es nichts gegen das ganze Heer seiner so vielen lasterhaften und boshaften Leidenschaften auszurichten. Ach, würdige dich, mein Herz durch deine heilige Gnade zu stärken, auf dass ich den Vorsatz zum Gehorsam gegen deinen göttlichen Willen getreu halte und meine Natur besser beherrsche.
Vorsatz - Im Herzen Jesu steht mir die Schule fürs ewige Leben offen, hier lerne ich den Inbegriff der christlichen Vollkommenheit, der darin besteht, dass man den Willen Gottes der Begierlichkeit des Fleisches und der Sinnlichkeit vorzieht.
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Nr. 64
Punkt VI - Als Mensch fürchtet Jesus Christus den Tod, und gibt eben dadurch seine Menschlichkeit zu erkennen. Weil er aber in seiner Person die gesamte Menschheit vertritt, wollte er uns, durch diese seine Furcht, eine wichtige Lehre geben. Machen wir folgende heilsame Erwägung und Schlussfolgerung: Wenn die natürliche Todesfurcht Jesus Christus durch das Vorgefühl der Trennung der Seele vom Leib so drückend beängstigt, welche Furcht soll dann der Gedanke an den Tod in mir hervorrufen, wenn ich diesen im Licht des Glaubens betrachte?
Betrachtung - Der Herr Jesus hat das Gericht seines ewigen Vaters nicht zu fürchten, denn er ist ja der makellose König der Unschuldigen. Niemand kann ihn einer Sünde beschuldigen, selbst Satan fand in ihm keinen Schatten einer Sünde. Ganz berechtigt hingegen ist die Furcht für mich. Tag und Nacht sollte sie mein Herz bestürmen. Ich muss sterben und nach dem Tod vor Gericht erscheinen. Ich bin mit der Schuld so vieler begangener Sünden beladen, und dennoch macht weder der Gedanke an den Tod auf mich einen Eindruck, noch flößt mir die Furcht vor dem Tod heilsame Zerknirschung des Herzens ein. Ich lebe in den Tag hinein, als ob ich nie sterben müsste oder als ob es nach dem Tod für mich um nichts ginge. Ich fürchte den Tod auf natürliche Weise, wie ihn auch ein Tier fürchtet; ich fürchte ihn aus Anhänglichkeit an diese armselige Welt, wie ihn auch die Heiden fürchten; nicht aber aus Gründen die mich der Glaube lehrt, wie jeder Christ ihn fürchten soll, um rechtschaffen zu leben.
Zwiegespräch - Mein Herr und mein Gott, verleihe mir, dass meine Seele den Augenblick des Todes nie aus den Augen verliert. Jenen Augenblick, der über mein glückseliges oder unglückseliges Los für alle Ewigkeit entscheiden wird; jenen Augenblick, nach dem es für mich keinen anderen mehr geben wird um Buße zu tun; jenen Augenblick, über den zu wachen du mir befohlen hast, weil er unerwartet eintreffen wird. Möge mich, o Gott, deine heilige Furcht durchdringen, die Furcht vor der Ewigkeit, die für mich ungewiss ist, die Furcht vor deinem Gericht, das für mich streng sein wird, die Furcht vor meinen Sünden, deren Zahl täglich zunimmt. Wenn sich vor dem Richterstuhl deiner Gerechtigkeit sogar derjenige fürchtet, der sich keiner Sünde bewusst ist, wie wird es dann um mich stehen, der ich mich unzähliger Missetaten schuldig weiß? Du mein Jesus, der du mein Richter sein wirst, verleihe mir durch deine Verdienste den rechten Geist. Dank seiner Kraft kann ich den Verlockungen der Welt und des Fleisches absterben und nur noch leben, um dich zu lieben und dir nachzufolgen, damit ich dich einst ewig besitzen darf.
Vorsatz - Wenn ich sterbe, werde ich auch über Dinge gerichtet werden, über die ich mir gegenwärtig keine Gedanken mache. Deshalb will ich in Zukunft mein leichtfertiges Gewissen fürchten, das scheinbar nur gewisse schwere Sünden scheut.
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Nr. 65
Punkt VII - Das innere Leiden Jesu Christi dauerte ohne Unterbrechung vom ersten bis zum letzten Augenblick seines Lebens. In der Vorausahnung dessen, was er äußerlich leiden musste, befand er sich immer in bitterer qualvoller Bedrängnis. Weil jedoch seine Bedrängnis sonst immer von der Freude des Geistes gemildert wurde, so dass er von seinem Tode mit Sehnsucht und Freude sprach, war sie wohl nicht so groß wie jene, die ihn im Ölgarten erfüllte.
Betrachtung - Dort befindet sich seine heilige Seele in größter Qual, weil jene Betrübnis mit ganzer Schwere auf ihr lastet. Da Jesus Christus die ganze Herrlichkeit seiner Gottheit in seinem Geiste zurückhält und keinen ihrer Strahlen dem sinnlichen Gefühl zukommen lässt, ist er zwar im höheren Teil seiner Seele durch den Genuss der Himmelsfreude unendlich selig, jedoch gleichzeitig unaussprechlich betrübt im niederen Teil der Seele. Dieser befindet sich wie in einem Chaos von Finsternis und Trockenheit, von Entsetzen und Angst. Seine Menschheit ist gleichzeitig von Freude und Leid erfüllt. Wie seine göttliche Seligkeit durch das Leiden nicht im Geringsten gestört wird, wird auch sein Leiden von der göttlichen Seligkeit nicht versüßt. Alles geschieht, weil und wie er es selbst will und anordnet. Gott hat bei der Erschaffung der Welt die Gewässer abgesondert und die oberen von den unteren geschieden, so dass die oberen in Ruhe blieben, die unteren aber den stürmischen Winden preisgegeben wurden. Ebenso befinden sich in Jesus Christus zu der Zeit, da er die Erlösung vollbringt, die Ströme der göttlichen Tröstungen, die im oberen Teil der Seele verbleiben, getrennt von den Leidenswogen, die den niederen Teil überfluten. Unserem Heiland mangeln nicht Mittel und Gründe des Trostes. Er schlägt aber alles aus, was sein Leiden erleichtern könnte und nimmt alles gerne an, wodurch es erschwert wird. Warum dies? Um mir den Himmel zu verdienen, wo die Freude rein ist und ohne Trauer; um mich vor der Hölle zu retten, wo die Pein allein herrscht, ohne eine Freude; um mich zu seiner Nachfolge in diesem Tränental, wo die Freude mit dem Schmerze Hand in Hand geht, aufzumuntern.
Zwiegespräch - Wie verschieden, o guter Jesus, ist mein innerer Mensch von dem deinen. All mein Sinnen und Trachten zielt nur dahin, die Drangsale und Leiden zu fliehen, dagegen aber Bequemlichkeit, Sinnlichkeit und Unterhaltung zu suchen! Ach, flöße mir die Gesinnungen ein, die sich für eine Seele geziemen, die für die Ewigkeit erschaffen und in deine Nachfolge berufen ist. Ich danke dir, für dein liebevolles Erbarmen und opfere dir die Bitterkeit deines Herzens auf zur Sühne für jene Sünden, die ich dadurch begangen habe, dass ich mein Vergnügen suchte.
Vorsatz - Ich werde mir vornehmen, durch freiwillige Abtötung in erlaubten Vergnügen und durch geduldiges Ertragen so mancher Widerwärtigkeiten, Jesus Christus nachzufolgen.
Letzte Änderung: 28.07.2012 um 12:18
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