Wort der Päpste
Papst Benedikt XVI. - Predigt in der Christmette 2010 |
Geschrieben von (ksf) am 30.12.2010 |
Rom (kath.net)
Die Predigt von Papst Benedikt bei der Weihnachtsmette in Rom:
Liebe Brüder und Schwestern!
„Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“ – mit diesem Wort aus Psalm 2 eröffnet die Kirche die Liturgie der Heiligen Nacht. Sie weiß, daß dieses Wort ursprünglich zum Krönungsritual der Könige von Israel gehörte. Der König, der von sich aus ein Mensch ist wie andere Menschen, wird „Sohn Gottes“ durch die Berufung und Einsetzung in sein Amt. Sie ist eine Art Adoption durch Gott, ein Akt der Entscheidung, durch den er diesem Menschen eine neue Existenz schenkt, ihn in sein eigenes Sein hineinzieht.
Die Lesung aus dem Propheten Jesaja, die wir eben gehört haben, stellt denselben Vorgang in einer Situation der Not und der Bedrohung Israels noch leuchtender dar: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter“ (Jes 9, 5). Die Einsetzung ins Königsamt ist wie eine neue Geburt.
Gerade als Neugeborener aus Gottes eigenem Entscheid, als Kind von Gott her ist der König Hoffnung. Auf seinen Schultern ruht die Zukunft. Er ist Träger der Verheißung des Friedens. In der Nacht zu Bethlehem ist dieses prophetische Wort auf eine Weise Wahrheit geworden, die in der Stunde des Jesaja noch nicht vorstellbar gewesen wäre.
Ja, nun ist es wirklich ein Kind, auf dessen Schultern die Herrschaft liegt. In ihm erscheint das neue Königtum, das Gott in der Welt aufrichtet. Dieses Kind ist wirklich aus Gott geboren. Es ist Gottes ewiges Wort, das Menschsein und Gottsein einander verbindet.
Von diesem Kind gelten die Würdetitel, die das Krönungslied des Propheten ihm zulegt: Wunderbarer Ratgeber – Starker Gott – Vater in Ewigkeit – Fürst des Friedens (Jes 9, 5). Ja, dieser König braucht nicht Ratgeber aus den Weisen der Welt. Es trägt Gottes Weisheit und Rat in sich selbst. Er ist gerade in der Schwäche des Kindseins der starke Gott und zeigt uns so gegenüber den auftrumpfenden Mächten dieser Welt Gottes eigene Stärke.
Die Worte des Krönungsrituals in Israel waren immer in Wahrheit nur Rituale der Hoffnung, die auf eine von Gott zu schenkende Zukunft vorausschauten. Keiner der Könige, die auf diese Weise begrüßt wurden, entsprach der Größe dieser Worte. In ihnen allen blieben die Worte von der Sohnschaft Gottes, von der Einsetzung ins Erbe der Völker, vom Eigentum bis ans Ende der Erde (Ps 2, 8) nur Verweise auf Kommendes – gleichsam Wegzeichen der Hoffnung, die auf eine Zukunft hinführen, die in jenem Augenblick noch unverstehbar war. So ist die Erfüllung des Wortes, die in der Nacht zu Bethlehem beginnt, zugleich unendlich größer und weltlich gesehen geringer, als das prophetische Wort ahnen ließ.
Sie ist größer, denn dieses Kind ist wirklich Gottes Sohn, wirklich „Gott von Gott, Licht vom Licht, gezeugt nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“. Die unendliche Entfernung zwischen Gott und Mensch ist überbrückt. Gott hat sich nicht nur herabgebeugt, wie die Psalmen es beten; er ist wirklich „herabgestiegen“, in die Welt eingegangen, einer von uns geworden, um uns alle an sich zu ziehen. Dieses Kind ist wirklich Emmanuel – Gott mit uns.
Sein Reich geht wirklich bis an die Enden der Erde. Er hat Inseln des Friedens aufgebaut in der weltumspannenden Weite der heiligen Eucharistie. Wo immer sie gefeiert wird, ist eine Insel des Friedens von Gottes eigenem Frieden. Dieses Kind hat das Licht der Güte in den Menschen entzündet und ihnen Kraft gegeben, der Tyrannei der Macht zu widerstehen.
Es baut in jeder Generation sein Reich von innen her, vom Herzen her. Aber zugleich ist wahr, daß der „Stock des Treibers“ nicht zerbrochen ist. Daß auch heute Stiefel dröhnend daherstampfen und daß es immer noch und immer wieder den „blutbefleckten Mantel“ gibt (Jes 9, 3f). So gehört zu dieser Nacht die Freude über Gottes Nähe. Wir danken dafür, daß Gott als Kind sich in unsere Hände gibt, um unsere Liebe gleichsam bettelt, uns seinen Frieden ins Herz senkt.
Aber diese Freude ist doch auch Bitte: Herr, mache deine Verheißung ganz wahr. Zerbrich die Stöcke der Treiber. Verbrenne die dröhnenden Stiefel. Laß die Zeit der blutbefleckten Mäntel zu Ende gehen. Laß es wahr werden: „Der Friede hat kein Ende“ (Jes 9, 6). Wir danken dir für deine Güte, aber wir bitten dich auch: Zeige deine Macht. Richte die Herrschaft deiner Wahrheit und deiner Liebe auf in der Welt – das „Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“.
„Maria gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen“ (Lk 2, 7).
Mit diesem Satz erzählt der heilige Lukas ganz ohne Pathos das große Ereignis, auf das die prophetischen Worte in der Geschichte Israels vorausgeschaut hatten. Lukas nennt das Kind den „Erstgeborenen“. In der Sprache, die sich in der Heiligen Schrift des Alten Bundes geformt hatte, bedeutet „Erstgeborener“ nicht den Anfang einer Reihe von anderen Kindern. Das Wort „Erstgeborener“ ist ein Würdetitel, ganz unabhängig davon, ob weitere Geschwister folgen oder nicht.
So wird Israel von Gott im Buch Exodus (4, 22) als „mein erstgeborener Sohn“ bezeichnet, und damit wird seine Erwählung, seine einzigartige Würde, die besondere Liebe Gottes des Vaters ausgedrückt. Die werdende Kirche wußte, daß in Jesus dieses Wort eine neue Tiefe empfangen hatte; daß die Verheißungen Israels in ihm zusammengefaßt sind. So nennt der Hebräer-Brief Jesus den Erstgeborenen, einfach um ihn nach den Vorbereitungen im Alten Testament als den Sohn zu bezeichnen, den Gott in die Welt sendet (Hebr 1, 5 – 7).
Der Erstgeborene gehört in besonderer Weise Gott, und daher mußte er in besonderer Weise – wie in vielen Religionen – Gott übergeben und durch ein stellvertretendes Opfer abgelöst werden, wie es auch der heilige Lukas in der Geschichte von der Darstellung Jesu im Tempel erzählt. Der Erstgeborene gehört Gott in besonderer Weise, ist gleichsam zum Opfer bestimmt. Im Kreuzesopfer Jesu erfüllt sich in einzigartiger Weise die Bestimmung des Erstgeborenen. Er bringt in sich selbst die Menschheit Gott dar und vereinigt so Mensch und Gott, daß Gott alles in allem sei.
Paulus hat in den Briefen an die Kolosser und die Epheser den Gedanken Jesu als des Erstgeborenen ausgeweitet und vertieft: Jesus, so sagen uns die Briefe, ist der Erstgeborene der Schöpfung – das eigentliche Urbild des Menschen, nach dem Gott die Kreatur Mensch geschaffen hat. Der Mensch kann Gottes Bild sein, weil Jesus Gott und Mensch, das wahre Bild Gottes und des Menschen ist.
Er ist der Erstgeborene von den Toten, sagen uns diese Briefe des weiteren. Er hat in der Auferstehung die Mauer des Todes durchbrochen, für uns alle. Er hat dem Menschen den Raum des ewigen Lebens in der Gemeinschaft mit Gott eröffnet. Endlich wird uns gesagt: Er ist der Erstgeborene unter vielen Brüdern. Ja, er ist nun doch der erste einer Reihe von Geschwistern: der erste, der uns das Mitsein mit Gott eröffnet.
Er schafft die wahre Brüderlichkeit – nicht die von der Sünde entstellte Brüderlichkeit von Kain und Abel, von Romulus und Remus, sondern die neue Brüderlichkeit, in der wir Gottes eigene Familie sind. Diese neue Familie Gottes beginnt in dem Augenblick, da Maria den „Erstgeborenen“ mit Windeln umwickelt und in die Krippe legt.
Bitten wir ihn: Herr Jesus, der du als der erste unter vielen Geschwistern geboren werden wolltest, schenk uns die wahre Geschwisterlichkeit. Hilf uns, daß wir dir ähnlich werden. Hilf uns in dem anderen, der meiner bedarf, in denen, die leidend oder verlassen sind, in allen Menschen dein Gesicht zu erkennen und mit dir als Brüder und Schwestern zu leben, um zu einer Familie, zu deiner Familie zu werden.
Das Weihnachtsevangelium erzählt uns am Ende, daß ein großes himmlisches Heer von Engeln Gott lobte und sprach: „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen seiner Gnade.“ (Lk 2, 14). Die Kirche hat diesen Lobpreis, den die Engel angesichts des Ereignisses der Heiligen Nacht angestimmt haben, zu einem Hymnus der Freude über Gottes Herrlichkeit ausgeweitet. „Wir danken dir für deine Herrlichkeit.“ Wir danken dir für die Schönheit, für die Größe, die Güte Gottes, die uns in dieser Nacht sichtbar werden.
Das Erscheinen der Schönheit, des Schönen, macht froh, ohne daß wir nach seiner Nützlichkeit fragen müßten. Gottes Herrlichkeit, aus der alle Schönheit stammt, läßt uns in Staunen und Freude ausbrechen. Wer Gottes ansichtig wird, wird froh, und in dieser Nacht sehen wir etwas von seinem Licht. Aber auch von den Menschen spricht das Engelswort der Heiligen Nacht: „Pace agli uomini che egli ama.“ Die lateinische Übersetzung des Engelsworts, die wir in der Liturgie gebrauchen und die auf Hieronymus zurückgeht, lautet anders: „Friede den Menschen, die eines guten Willens sind.“
Das Wort von den Menschen des guten Willens ist gerade in den letzten Jahrzehnten auf besondere Weise in den kirchlichen Sprachschatz eingegangen. Welche Übersetzung aber ist richtig? Wir müssen beide Texte zusammenlesen; nur so verstehen wir das Engelswort recht. Falsch wäre eine Auslegung, die nur Gottes alleiniges Wirken gelten läßt, als ob er den Menschen nicht zu einer freien Antwort der Liebe gerufen hätte. Falsch wäre aber auch eine moralisierende Auslegung, nach der der Mensch sich gleichsam mit seinem guten Willen erlösen könnte. Beides gehört zusammen: Gnade und Freiheit; Gottes zuvorkommende Liebe, ohne die wir ihn nicht lieben könnten, und unsere Antwort, auf die er wartet, um die er uns in der Geburt seines Sohnes förmlich bittet.
Das Ineinander von Gnade und Freiheit, das Ineinander von Ruf und Antwort können wir nicht in voneinander getrennte Teile auseinandernehmen. Beides ist unlösbar ineinander verwoben. So ist dieses Wort Verheißung und Anruf zugleich. Gott ist uns zuvorgekommen im Geschenk seines Sohnes. Gott kommt uns immer wieder auf unerwartete Weise zuvor. Er läßt nicht nach, uns zu suchen, uns aufzuheben, sooft wir es nötig haben. Er läßt das verlorene Schaf nicht in der Öde, in die es sich verirrt hat. Gott läßt sich durch unsere Sünde nicht beirren.
Er fängt immer wieder neu mit uns an. Aber er wartet doch auf unser Mitlieben. Er liebt uns, damit wir Mitliebende werden und so Friede auf Erden sein könne.
Lukas hat nicht gesagt, daß die Engel gesungen haben. Er schreibt ganz nüchtern: Das himmlische Heer lobte Gott und sprach: Ehre sei Gott in der Höhe… (Lk 2, 13f). Aber immer wußten die Menschen, daß das Sprechen der Engel anders ist als das Reden der Menschen.
Daß es gerade in dieser Nacht der freudigen Botschaft ein Singen gewesen ist, in dem Gottes hohe Herrlichkeit aufstrahlte. So ist dieses Lied der Engel von Anfang an als Musik von Gott her gehört worden, ja, als Einladung mitzusingen in der Freude des Herzens über das Geliebtsein von Gott. Cantare amantis est, sagt Augustinus: Singen ist Sache des Liebenden. So ist das Lied der Engel die Jahrhunderte hindurch immer neu Gesang der Liebe und Freude, Gesang der Liebenden geworden.
In dieser Stunde stimmen wir voll Dankbarkeit in dieses Singen aller Jahrhunderte ein, das Himmel und Erde, Engel und Menschen verbindet. Ja, wir danken dir für deine Herrlichkeit. Wir danken für deine Liebe. Laß uns immer mehr Mitliebende mit dir und so Menschen des Friedens werden. Amen.
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Letzte Änderung: 31.12.2010 um 18:05
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