Wort der Päpste
Papst Benedikt XVI. - Über Erik Peterson |
Geschrieben von (ksf) am 07.12.2010 |
Vatikanstadt (kath.net/Bistum Mainz)
„Ich habe ihn mit wachsender Begier gelesen und mich von ihm wirklich ergreifen lassen“, sagte Papst Benedikt über den Theologen Erik Peterson, dem Zeit seines Lebens und auch danach nie die gebührende Anerkennung zuteil geworden sei.
Der ursprünglich evangelische, 1930 zum katholischen Glauben konvertierte Theologe blieb zeitlebens ein Außenseiter und nach seinem Tod lange ein Geheimtip.
„Er hat diese Fremdheit des Christen erfahren, er war der evangelischen Theologie fremd geworden und ist auch in der katholischen Theologie, wie sie damals war, irgendwie Fremdling geblieben. Und heute wissen wir, dass er beiden zugehört.“
Papst Benedikt XVI. hat am Montag, 25. Oktober, die Teilnehmer des internationalen Symposions über den Theologen Erik Peterson (1890 bis 1960) im Vatikan zu einer Audienz in der Sala Clementina empfangen. Bei dem Treffen von Sonntag, 24., bis Dienstag, 26. Oktober, zum Thema „Die theologische Präsenz eines ‚Outsiders’“ hatten unter anderen der Mainzer Bischof, Kardinal Karl Lehmann, und die Leiterin der Abteilung Publikationen im Bischöflichen Ordinariat Mainz, Ordinariatsrätin Dr. Barbara Nichtweiß, Vorträge gehalten. Nichtweiß ist Gesamtherausgeberin der Peterson-Edition, die seit 1994 im Echter-Verlag in Würzburg erscheint und auf zwölf Bände angelegt ist. Lehmann hat den Anstoß für die Aufarbeitung des Peterson-Nachlasses und die
Herausgabe der „Ausgewählten Schriften“ gegeben.
Die Ansprache des Papstes im Wortlaut:
Eminenzen,
liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde!
Mit großer Freude begrüße ich Sie alle, die Sie aus Anlass des internationalen Symposions über Erik Peterson nach Rom gekommen sind. Besonders danke ich Ihnen, lieber Kardinal Lehmann, für die freundlichen Worte, mit denen Sie unsere Begegnung eingeleitet haben.
In diesem Jahr, wie Sie gerade festgestellt haben, sind es 120 Jahre her, dass dieser bedeutende Theologe in Hamburg geboren wurde; und fast auf den Tag genau vor 50 Jahren, am 26. Oktober 1960, starb Erik Peterson ebenfalls in seiner Vaterstadt Hamburg. Er hat vom Jahr 1930 an phasenweise, ab 1933 dann regelmäßig mit seiner Familie in Rom gewohnt, zunächst auf dem Aventin in der Nähe von Sant’Anselmo und später in der Nachbarschaft des Vatikans, in einem Haus gegenüber der Porta Sant’Anna.
Es ist mir deshalb eine ganz besondere Freude, die Familie Peterson, die verehrten Töchter und den Sohn mit ihren Familien, unter uns begrüßen zu können. Ihrer geschätzten Mutter durfte ich, zusammen mit Kardinal Lehmann, anlässlich ihres 80. Geburtstages 1990, in Ihrer gemeinsamen Wohnung eine handgeschriebene Urkunde mit dem Bild des Heiligen Vaters Johannes Paul II. überreichen, und ich erinnere mich gern an diese Begegnung mit Ihnen.
„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Hebr 13, 14). Dieses Zitat aus dem Hebräerbrief könnte man als Leitwort über das Leben von Erik Peterson setzen. Er fand eigentlich zeit seines Lebens keinen rechten Platz, wo ihm Anerkennung und Sesshaftigkeit beschieden worden wären.
Der Beginn seines wissenschaftlichen Wirkens fällt in eine Zeit der Umbrüche in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Die Monarchie war zusammengebrochen. Die bürgerliche Ordnung schien angesichts der politischen und sozialen Umwälzungen gefährdet. Dies spiegelte sich auch im religiösen Bereich und besonders im deutschen Protestantismus wider.
Die bislang vorherrschende liberale Theologie mit ihrem verbreiteten Fortschrittsoptimismus war in die Krise geraten und gab Raum für konträre theologische Neuaufbrüche. Für den jungen Peterson wurde die zeitgeschichtliche Situation zu einem existentiellen Problem. Schon sein Studienfach hatte er bei gleichermaßen historischem wie theologischem Interesse unter dem Gesichtspunkt ausgewählt, dass - wie er sagt -, „wenn wir mit der menschlichen Geschichte allein gelassen werden, wir vor einem sinnlosen Rätsel stehen“ (Eintrag in das Bonner „Album Professorum“ 1926/27, Ausgewählte Schriften, Sonderband S. 111).
Peterson entschloss sich - ich zitiere wieder - „auf historischem Gebiet zu arbeiten und speziell religionsgeschichtliche Probleme in Angriff zu nehmen“, da er daran scheiterte, sich in der damaligen evangelischen Theologie „durch das Dickicht der Meinungen zu den Sachen selbst hindurchzuschlagen“ (ebd.).
Dabei kommt er immer mehr zu der Gewissheit, dass es keine von Gott losgelöste Geschichte gibt, und dass die Kirche in dieser Geschichte einen besonderen Platz und ihren Sinn hat. Ich zitiere wieder: „Dass es Kirche gibt, und dass sie in einer ganz bestimmten Weise konstituiert ist, hängt aufs engste damit zusammen, dass es (…) eine spezifisch theologisch bestimmte Geschichte gibt“ (Vorlesung „Geschichte der Alten Kirche“ Bonn 1928, Ausgewählte Schriften, Sonderband S. 88).
Die Kirche erhält von Gott den Auftrag, die Menschen aus dem begrenzten und vereinzelten Dasein in eine universale Gemeinschaft zu führen, vom Natürlichen zum Übernatürlichen, aus der Vergänglichkeit in die Vollendung am Ende der Zeiten.
In dem schönen kleinen Buch von den Engeln sagt er dazu: „Der Weg der Kirche führt aus dem irdischen Jerusalem in das himmlische, (…) in die Stadt der Engel und Heiligen“ (Einleitung).
Der Ausgangspunkt dieses Weges ist die Verbindlichkeit der Heiligen Schrift, wobei er findet, dass die Heilige Schrift nur dadurch verbindlich wird und ist, dass sie nicht allein in sich selber steht, sondern in der Hermeneutik der apostolischen Tradition, die sich wiederum konkretisiert in der apostolischen Sukzession und so die Kirche die Schrift in einer lebendigen Gegenwart erhält und sie zugleich auslegt.
Durch die in der apostolischen Sukzession stehenden Bischöfe bleibt das Zeugnis der Schrift in der Kirche lebendig und bildet die Grundlage für die bleibend gültigen Glaubensüberzeugungen der Kirche, die uns vor allem im Credo und im Dogma begegnen.
Sie entfalten sich in der Liturgie als dem gelebten Raum der Kirche für das Lob Gottes. Der auf Erden gefeierte Gottesdienst steht dabei in einem unauflöslichen Bezug zur himmlischen Stadt Jerusalem. Dort wird Gott und dem Lamm das wahre ewige Lobopfer dargebracht, von dem die irdische Feier nur Abbild ist.
Der Teilnehmer an der heiligen Messe bleibt gleichsam an der Schwelle des himmlischen Bereichs stehen, von der aus er den Kult schaut, der sich unter den Engeln und Heiligen vollzieht.
Wo immer die irdische Kirche ihren eucharistischen Lobpreis anstimmt, tritt sie zu dieser himmlischen Festversammlung hinzu, in der mit den Heiligen ein Teil ihrer selbst bereits angekommen ist, und gibt den noch in dieser Welt Wandernden Hoffnung auf dem Weg in die ewige Vollendung.
Vielleicht ist dies der Punkt, an dem ich ein persönliches Wort einflechten soll. Ich bin auf die Figur von Erik Peterson erstmals 1951 gestoßen. Damals war ich Kaplan in Bogenhausen, und der Chef des dort ansässigen Kösel-Verlages, Herr Wild, hat mir den eben erschienenen Band „Theologische Traktate“ überreicht. Ich habe ihn mit wachsender Begier gelesen und mich von ihm wirklich ergreifen lassen, denn hier war die Theologie, nach der ich suchte:
Theologie, die einerseits den ganzen historischen Ernst aufbringt, Texte zu verstehen, zu untersuchen, sie mit allem Ernst historischer Forschung zu analysieren, und die doch nicht in der Vergangenheit stehen bleibt, sondern die Selbstüberschreitung des Buchstabens mit vollzieht, in diese Selbstüberschreitung des Buchstabens mit hineintritt, sich von ihr mitnehmen lässt und damit in die Berührung mit dem kommt, von dem her sie stammt - mit dem lebendigen Gott.
Und so ist der Hiatus zwischen dem Damaligen, das die Philologie untersucht, und dem Heute von selbst überwunden, weil das Wort hineinführt in die Begegnung mit der Realität und die ganze Aktualität des Geschriebenen, als sich selbst zur Realität überschreitend, wirksam wird.
So habe ich an ihm wesentlich und tiefer gelernt, was eigentlich Theologie ist, und eben auch diese Bewunderung dafür gehabt, dass hier nicht nur Gedachtes gesagt wird, sondern dass dieses Buch Ausdruck eines Weges, die Passion seines eigenen Lebens war.
Das Paradox mag sein, dass gerade der Briefwechsel mit Harnack am meisten den Durchbruch ausdrückt, der ihm zuteil geworden ist. Harnack hatte ihm bestätigt oder vorher schon unabhängig davon geschrieben, dass das katholische Formalprinzip „Schrift lebt in der Überlieferung und Überlieferung in der lebendigen Gestalt der Sukzession“, dass dies das ursprüngliche und sachgemäße Prinzip ist, und dass das „sola Scriptura“ nicht funktioniert.
Peterson hat diese wie selbstverständlich hingeworfene Behauptung eines liberalen Theologen in seinem ganzen Ernst aufgegriffen, sich von ihr aufwühlen, durchwühlen, umbiegen, umwandeln lassen und so den Weg in die Konversion gefunden.
Und er hat damit wirklich einen abrahamischen Schritt getan, wie wir es am Anfang aus dem Hebräerbrief gehört haben: „Wir haben hier keine bleibende Stadt.“ Er ist aus der sicheren Geborgenheit eines Lehrstuhls ins Ungeborgene, ins Unbehauste hinausgetreten und sein ganzes Leben lang ohne sicheren Grund und ohne sichere Heimat geblieben, wirklich unterwegs mit dem Glauben und für den Glauben - in dem Vertrauen, dass in diesem unbehausten Unterwegssein er auf eine andere Weise zu Hause ist und immer zugeht auf die himmlische Liturgie, die ihn berührt hatte.
Von da aus versteht sich, dass Vieles, was Erik Peterson gedacht und geschrieben hat, aufgrund seiner prekären Lebenssituation nach dem Verlust seiner Lehrtätigkeit infolge seiner Konversion Fragment geblieben ist.
Obwohl er ohne ein gesichertes Einkommen leben musste, heiratete er hier in Rom und hat eine Familie gegründet. Er hat damit in ganz konkreter Weise seiner inneren Gewissheit Ausdruck gegeben, dass wir, obwohl wir Fremde sind - und er es auf ganz besondere Weise war -, doch in der Gemeinschaft der Liebe Halt finden und in der Liebe etwas bleibt, was währt für die Ewigkeit.
Er hat diese Fremdheit des Christen erfahren, er war der evangelischen Theologie fremd geworden und ist auch in der katholischen Theologie, wie sie damals war, irgendwie Fremdling geblieben. Und heute wissen wir, dass er beiden zugehört, dass beide von ihm zu lernen haben, die ganze Dramatik, den Realismus und den menschlichen existentiellen Anspruch der Theologie.
Erik Peterson ist - wie Kardinal Lehmann gesagt hat - sicher von vielen geschätzt und geliebt worden, ein Geheimtipp gewesen, aber es ist ihm nicht die wissenschaftliche Anerkennung zuteil geworden, die er verdient hätte; es war auch irgendwie zu früh. Er war da und dort - wie ich sagte - fremd.
So kann es nicht genug gerühmt werden, dass Kardinal Lehmann die Initiative ergriffen hat, seine Werke in einer großartigen Gesamtausgabe herauszubringen, und dass Frau Nichtweiß, der er es anvertraut hat, dies mit einer nur zu bewundernden Kompetenz tut.
Und damit ist die Aufmerksamkeit, die ihm durch diese Ausgabe geschenkt wird, nicht mehr als recht und billig, zumal nun auch verschiedene Werke ins Italienische, Französische, Spanische, Englische, Ungarische und sogar ins Chinesische übersetzt sind. Mögen dadurch die Gedanken Petersons weiter verbreitet werden, die nie bei den Details stehen bleiben, sondern stets das Ganze der Theologie im Blick haben.
Ganz herzlich danke ich allen Anwesenden für ihr Kommen. Mein besonderer Dank gilt den Organisatoren dieses Symposions, nicht zuletzt Kardinal Farina, dem Schirmherrn, und Herrn Dr. Giancarlo Caronello. Gerne entbiete ich Ihnen meine guten Wünsche für eine interessante und anregende Diskussion im Geiste Erik Petersons. Ich freue mich auf die Früchte dieses Kongresses und erteile Ihnen und allen, die Ihnen am Herzen liegen, den Apostolischen Segen.
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Letzte Änderung: 08.12.2010 um 10:29
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