Wort der Päpste
Papst Benedikt XVI. – Mittwoch, 28.12. 2011 |
Geschrieben von (ksf) am 26.04.2012 |
Liebe Brüder und Schwestern!
Die heutige Begegnung findet in der weihnachtlichen Atmosphäre statt, die von inniger Freude über die Geburt des Retters durchdrungen ist. Gerade haben wir dieses Geheimnis gefeiert, dessen Widerhall die Liturgie all dieser Tage erfüllt. Es ist ein Geheimnis des Lichts, das die Menschen jeder Epoche im Glauben und im Gebet erneut leben können. Gerade durch das Gebet werden wir fähig, uns Gott in inniger Vertrautheit und Tiefe zu nähern. Unter dem Gesichtspunkt des Themas des Gebets, das ich zur Zeit in den Katechesen darlege, möchte ich euch daher heute einladen, darüber nachzudenken, wie das Gebet Teil des Lebens der Heiligen Familie von Nazaret ist. Denn das Haus von Nazaret ist eine Schule des Gebets, wo man lernt zuzuhören, nachzudenken, in die tiefe Bedeutung der Offenbarung des Sohnes Gottes einzudringen, indem man sich Maria, Josef und Jesus zum Vorbild nimmt. Der Diener Gottes Paul VI. hielt bei seinem Besuch in Nazaret eine denkwürdige Ansprache. Der Papst sagte: In der Schule der Heiligen Familie »verstehen wir, warum wir eine geistliche Disziplin wahren müssen, wenn wir der Lehre des Evangeliums folgen und Jünger Christi werden wollen«. Und er fügte hinzu: »Das erste, was wir in Nazaret lernen, ist seine Stille. Wenn wir doch nur von neuem ihren großen Wert schätzen würden. Wir brauchen diesen wunderbaren Zustand der Seele. Gerade weil wir wie benommen sind vom üblen Lärm des schrillen Protests und der widersprüchlichen Ansprüche, die so charakteristisch sind für unsere unruhigen Zeiten. Die Stille von Nazaret möge uns lehren, wie wir in Frieden und Ruhe das tief Geistliche betrachten und reflektieren können und wie wir offen werden gegenüber der Stimme der inneren Weisheit Gottes und dem Rat der wahren Lehrermeister« (Besuch der Verkündigungsbasilika in Nazaret, 5. Januar 1964).
Aus den Evangeliumsberichten über die Kindheit Jesu können wir einige Anhaltspunkte über das Gebet der Heiligen Familie, über ihre Beziehung zu Gott gewinnen. Wir können mit der Episode der Darstellung Jesu im Tempel beginnen. Der hl. Lukas berichtet über Maria und Josef: »Dann kam für sie der Tag der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung. Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn zu weihen« (2,22). Wie jede gesetzestreue jüdische Familie begeben sich die Eltern Jesu zum Tempel, um den Erstgeborenen Gott zu weihen und um das Opfer darzubringen. Bewegt von der Treue zu den Vorschriften brechen sie von Bethlehem auf und begeben sich mit Jesus, der gerade 40 Tage alt ist, nach Jerusalem; statt eines einjährigen Lammes bringen sie das Opfer der einfachen Familien dar, also zwei Tauben. Die Pilgerreise der Heiligen Familie dient dem Glauben, der Darbringung der Gaben, Symbol des Gebets, und der Begegnung mit dem Herrn, den Maria und Josef bereits in ihrem Sohn Jesus sehen. Die Betrachtung Christi hat in Maria ihr unübertreffliches Vorbild. Das Antlitz des Sohnes gehört in besonderer Weise zu ihr, denn in ihrem Schoß hat er Gestalt angenommen und von ihr menschliche Gestalt empfangen. Niemand hat sich mehr als Maria der Betrachtung des Antlitzes Christi hingegeben. Die Augen ihres Herzens sind in gewisser Weise schon bei der Verkündigung auf ihn gerichtet, als sie ihn durch das Wirken des Heiligen Geistes empfängt. In den folgenden Monaten beginnt sie allmählich seine Gegenwart zu spüren, bis zum Tag der Geburt, als ihre Augen mit mütterlicher Zärtlichkeit das Angesicht des Sohnes betrachten können, während sie ihn in Windeln wickelt und in die Krippe legt. Die Erinnerungen an Jesus, die in ihrem Gedächtnis und in ihrem Herzen verankert sind, haben jeden Augenblick von Marias Leben geprägt. Sie lebt mit dem Blick auf Christus und hütet jedes seiner Worte wie einen Schatz. Der hl. Lukas sagt: »Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach« (Lk 2,19).
So beschreibt er Marias Haltung gegenüber dem Geheimnis der Menschwerdung, eine Haltung, die sie ihr ganzes Leben hindurch einnehmen wird: Sie bewahrt alles in ihrem Herzen und denkt darüber nach. Lukas ist der Evangelist, der uns Marias Herz, ihren Glauben (vgl. 1,45), ihre Hoffnung und ihren Gehorsam (vgl. 1,38), vor allem ihre Innerlichkeit und ihr Gebet (vgl. 1,46–56), ihre freie Zustimmung zu Christus (vgl. 1,55) nahebringt. Und all das geht aus der Gabe des Heiligen Geistes hervor, der über sie kommt (vgl. 1,35), wie er der Verheißung Christi gemäß auf die Apostel herabkommen wird (vgl. Apg 1,8). Dieses Bild Marias, das der hl. Lukas uns schenkt, zeigt die Gottesmutter als Vorbild für jeden Gläubigen, der die Worte und Taten Jesu bewahrt und sie einander gegenüberstellt; diese Gegenüberstellung ist immer ein Fortschreiten in der Erkenntnis Jesu. Auf der Spur des seligen Papstes Johannes Paul II. (vgl. Apostolisches Schreiben Rosarium Virginis Mariae) können wir sagen, dass das Rosenkranzgebet sein Vorbild in Maria besitzt, weil es darin besteht, die Geheimnisse Christi in geistlicher Vereinigung mit der Mutter des Herrn zu betrachten. Marias Fähigkeit, vom Blick Gottes zu leben, ist sozusagen ansteckend. Der erste, der diese Erfahrung gemacht hat, war der hl. Josef. Seine demütige und aufrichtige Liebe zu seiner Verlobten und die Entscheidung, sein Leben mit Marias Leben zu verbinden, hat auch ihn, der »gerecht« war (Mt 1,19), in eine einzigartige Vertrautheit mit Gott hineingezogen und eingeführt. Denn mit Maria und dann vor allem mit Jesus beginnt er, eine neue Beziehung zu Gott herzustellen, ihn in sein eigenes Leben aufzunehmen, in seinen Heilsplan einzutreten, indem er seinen Willen erfüllt. Nachdem er vertrauensvoll der Weisung des Engels gefolgt ist – »fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen« (Mt 1,20) –, hat er Maria zu sich genommen und sein Leben mit ihr geteilt; er hat sich wirklich ganz und gar Maria und Jesus hingegeben, und das hat seine Antwort auf die empfangene Berufung zur Vollkommenheit geführt. Wie wir wissen, ist im Evangelium kein einziges Wort von Josef überliefert: Seine Gegenwart ist eine schweigende, aber treue, beständige, tätige Gegenwart. Wir können uns vorstellen, dass auch er, wie seine Verlobte und in inniger Übereinstimmung mit ihr, die Jahre der Kindheit und Jugend Jesu gelebt hat, indem er sozusagen Seine Gegenwart in ihrer Familie genossen hat. Josef hat seine väterliche Aufgabe völlig erfüllt, in jeder Hinsicht. Sicher hat er Jesus zum Gebet erzogen, gemeinsam mit Maria. Insbesondere wird er ihn mit in die Synagoge genommen haben, zum Sabbatgottesdienst, sowie nach Jerusalem, zu den großen Festen des Volkes Israel. Gemäß der jüdischen Tradition wird Josef das häusliche Gebet geleitet haben, sowohl im Alltag – am Morgen, am Abend, bei den Mahlzeiten – als auch an den wichtigsten religiösen Festen. So hat Jesus im Rhythmus der Tage, die er in Nazaret zwischen dem bescheidenen Haus und Josefs Werkstatt verbracht hat, gelernt, Gebet und Arbeit abzuwechseln und auch die Mühen, um der Familie das nötige Brot zu verdienen, Gott als Opfer darzubringen. Schließlich gibt es noch eine weitere Episode, die die Heilige Familie von Nazaret gemeinsam zum Gebet versammelt sieht.
Wir haben gehört, dass der zwölfjährige Jesus sich mit den Seinen zum Tempel von Jerusalem begibt. Diese Episode findet im Rahmen der Pilgerreise statt, wie der hl. Lukas hervorhebt: »Die Eltern Jesu gingen jedes Jahr zum Paschafest nach Jerusalem. Als er zwölf Jahre alt geworden war, zogen sie wieder hinauf, wie es dem Festbrauch entsprach« (2,41–42). Die Pilgerreise ist ein Ausdruck der Frömmigkeit, die aus dem Gebet Nahrung zieht und es gleichzeitig nährt. Hier geht es um jene zum Paschafest, und der Evangelist gibt uns zu verstehen, dass die Familie Jesu sie jedes Jahr durchführt, um an den Riten in der Heiligen Stadt teilzunehmen. Ebenso wie die christliche Familie betet die jüdische Familie im häuslichen Familienkreis, aber sie betet auch zusammen mit der Gemeinschaft und bekennt sich so als Teil des Volkes Gottes, das unterwegs ist, und die Pilgerreise bringt gerade dieses Unterwegssein des Volkes Gottes zum Ausdruck. Mittel- und Höhepunkt des Ganzen ist das Paschafest, das die familiäre Dimension ebenso einbezieht wie die des liturgischen und öffentlichen Gottesdienstes. In der Episode des zwölfjährigen Jesus sind auch die ersten Worte Jesu verzeichnet: »Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?« (2,49). Nach dreitätiger Suche fanden seine Eltern ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte ihnen Fragen (vgl. 2,46). Auf die Frage, warum er Vater und Mutter dies angetan habe, antwortet er, dass er nur das getan hat, was der Sohn tun muss, also beim Vater sein. So verweist er darauf, wer sein wirklicher Vater ist, was das wirkliche Zuhause ist, dass er nichts Befremdendes, Ungehorsames getan hat. Er ist dort geblieben, wo der Sohn sein muss, also beim Vater, und er hat hervorgehoben, wer sein Vater ist. Das Wort »Vater« liegt also über der Betonung dieser Antwort, und das ganze christologische Geheimnis wird sichtbar. Dieses Wort öffnet daher das Geheimnis; es ist der Schlüssel zum Geheimnis Christi, des Sohnes, und es öffnet auch den Schlüssel zu unserem Geheimnis als Christen, die wir Söhne im Sohn sind. Gleichzeitig lehrt uns Jesus, Söhne zu sein, gerade indem wir im Gebet beim Vater sind. Das christologische Geheimnis, das Geheimnis des christlichen Lebens ist eng verbunden mit dem Gebet; es gründet auf dem Gebet. Jesus wird seine Jünger eines Tages beten lehren, indem er zu ihnen sagt: Wenn ihr betet, dann sagt »Vater«. Und sagt es natürlich nicht nur mit einem Wort, sondern mit eurem Leben, lernt immer mehr, mit eurem Leben zu sagen: »Vater«. So werdet ihr wahre Söhne im Sohn, wahre Christen sein. Hier, als Jesus noch völlig in das Leben der Familie von Nazaret eingebunden ist, ist es wichtig zu sehen, welche Wirkung es wohl in den Herzen von Maria und Josef gehabt hat, aus dem Mund Jesu jenes Wort »Vater« zu hören, zu offenbaren, hervorzuheben, wer der Vater ist und aus seinem Mund dieses Wort zu hören im Bewusstsein des eingeborenen Sohnes, der gerade deshalb drei Tage im Tempel bleiben wollte, der das »Haus des Vaters« ist. Wir können uns vorstellen, dass das Leben in der Heiligen Familie seitdem noch mehr vom Gebet erfüllt war, denn aus dem Herzen des Knaben – und dann des Jugendlichen und des jungen Erwachsenen – Jesus heraus wird der tiefe Sinn der Beziehung zu Gott, dem Vater, sich unablässig in den Herzen von Maria und Josef verbreiten und widerspiegeln. Diese Episode zeigt uns die wahre Situation, die Atmosphäre des Seins mit dem Vater. So ist die Familie von Nazaret das erste Urbild der Kirche, in der um die Gegenwart Jesu herum und dank seiner Vermittlung alle die kindliche Beziehung zu Gott, dem Vater, leben, die auch die zwischenmenschlichen Beziehungen verwandelt.
Liebe Freunde,
aufgrund dieser verschiedenen Aspekte, die ich im Licht des Evangeliums kurz dargelegt habe, ist die Heilige Familie das Bild der Hauskirche, die berufen ist, gemeinsam zu beten. Die Familie ist Hauskirche und muss die erste Schule des Gebets sein. In der Familie können die Kinder von zartem Alter an lernen, den Sinn für Gott wahrzunehmen, dank der Unterweisung und des Vorbilds der Eltern: in einer Atmosphäre leben, die von der Gegenwart Gottes geprägt ist. Eine wirklich christliche Erziehung kann nicht von der Erfahrung des Gebets absehen. Wenn man in der Familie nicht beten lernt, wird es später schwierig sein, diese Leere zu füllen. Und daher möchte ich euch einladen, die Schönheit wiederzuentdecken, gemeinsam als Familie in der Schule der Heiligen Familie von Nazaret zu beten und so wirklich ein Herz und eine Seele zu werden, eine wahre Familie. Danke. Von Herzen grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Die Heilige Familie ist ein Vorbild für jede christliche Familie, in der das Gebet einen ganz wichtigen Platz hat, damit wir den Zusammenhalt mit Gott lernen, der uns auch den Zusammenhalt untereinander schenkt. So lernen in der Familie die Kinder das Beten, das Herz wird wach für Gott! – Euch allen wünsche ich ein gesegnetes neues Jahr.
© Copyright 2011 - Libreria Editrice Vaticana
Letzte Änderung: 27.04.2012 um 13:58
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