Lehrschreiben

Papst Pius XII. - Rundschreiben MEDIATOR DEI ET HOMINUM - 1

Geschrieben von (ksf) am 03.05.2012
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Einleitung

212. Der Mittler zwischen Gott und den Menschen[1],der Hohepriester, der die Himmel durchmessen, Jesus, der Sohn Gottes[2]hat das Werk der Barmherzigkeit auf sich genommen, das Menschengeschlecht mit übernatürlichen Wohltaten zu überhäufen. Seine Absicht war es dabei zweifellos, die zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer durch die Sünde gestörte Ordnung wiederherzustellen und die unglückliche, durch die Erbschuld belastete Nachkommenschaft Adams dem himmlischen Vater, dem Ursprung und letzten Ziele aller Geschöpfe, wieder zuzuführen. Deshalb verkündete er während seines Wandels auf Erden nicht allein den Anbruch der Erlösung und erklärte das Gottesreich für gekommen, sondern er trachtete, durch beständiges Beten und Opfern das Heil der Seelen zu erwirken, bis er schließlich am Kreuze sich als makelloses Opfer Gott darbot, um unser Gewissen von toten Werken zu reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen könnten[3]. So wurden alle Menschen vom Weg, der zu ihrem völligen Verderben führte, zu ihrem Glück zurückgerufen und Gott wieder zugeführt; durch das persönliche Mitwirken eines jeden zur Erlangung der eigenen Heiligkeit, die dem Blute des unbefleckten Lammes entsprießt, sollten sie Gott die ihm gebührende Ehre erweisen.

213. Der göttliche Erlöser wollte, daß das Priesterleben, das er in seinem sterblichen Leibe durch sein Gebet und Opfer begonnen hatte, durch die Jahrhunderte in seinem mystischen Leibe, der Kirche, ununterbrochen weitergeführt werde. Daher setzte er ein sichtbares Priestertum ein, damit an jedem Ort ein reines Speiseopfer dargebracht werde[4] und so die Menschen vom Aufgang bis zum Niedergang, befreit von der Sünde, dem Ruf des Gewissens folgend, frei und willig Gott dienten.

214. Die Kirche führt also, getreu dem von ihrem Stifter erhaltenen Auftrag, das Priesteramt Jesu Christi vor allem durch die heilige Liturgie weiter. In erster Linie tut sie dies am Altare, wo das Kreuzesopfer ständig dargebracht[5] und erneuert wird[6], wobei einzig die Art der Darbringung verschieden ist; dann durch die Sakramente, besondere Mittel, durch welche die Menschen des übernatürlichen Lebens teilhaftig werden; endlich durch den Lobpreis, der täglich dem allgütigen und allmächtigen Gott dargebracht wird. „Welch wundervolles Schauspiel - sagt Unser Vorgänger ehrwürdigen Andenkens Pius XI. - bietet dem Himmel und der Erde die betende Kirche, wenn ohne Unterlaß Tag und Nacht die unter göttlicher Eingebung geschriebenen Psalmen auf Erden gesungen werden; wenn keine Stunde des Tages gezählt wird, die nicht durch ihre eigene Liturgie geweiht wäre; wenn jedes Lebensalter seine Rolle hat beim Dank-, Lob-, Bitt- und Sühnegebet, diesem gemeinsamen Flehen des mystischen Leibes Christi, der Kirche“[7].

215. Es ist Euch, ehrwürdige Brüder, sicher bekannt, daß gegen Ende des letzten und zu Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts ein außerordentlicher Wetteifer auf dem Gebiet der liturgischen Studien entfaltet wurde, sowohl durch private Arbeit, wie besonders durch die weit ausholende und emsige Tätigkeit einiger Klöster des berühmten Benediktinerordens; so wuchs nicht nur in vielen europäischen Nationen, sondern auch in den überseeischen Ländern diesbezüglich ein lobenswertes und fruchtbringendes Bemühen. Die segensreichen Früchte dieses eifrigen Bemühens konnte man auf dem Gebiet der theologischen Wissenschaften wahrnehmen, wo die liturgischen Riten der abend- und morgenländischen Kirche erschöpfender und tiefer durchforscht und erfaßt wurden, wie auch im geistlichen und privaten Leben vieler Christen.

216. Die hehren Zeremonien des heiligen Opfers wurden bessererkannt, erfaßt und geschätzt, die Sakramente wurden allgemeiner und häufiger empfangen, die liturgischen Gebete inniger verkostet und die Verehrung der heiligen Eucharistie - was auch fortdauern soll - als Quelle und Mittelpunkt wahrer christlicher Frömmigkeit gewertet. Außerdem wurde die Tatsache in helleres Licht gerückt, daß alle Gläubigen einen einzigen, eng gefügten Leib bilden, dessen Haupt Christus ist, weshalb dem christlichen Volke die Pflicht obliege, in gebührender Weise an den liturgischen Handlungen teilzunehmen.

217. Ihr wißt ohne Zweifel sehr wohl, daß der Apostolische Stuhl jederzeit eifrig bestrebt war, das ihm anvertraute Volk mit richtigem und lebendigem liturgischem Empfinden zu erfüllen; und wie er mit nicht geringerem Eifer darauf geachtet hat, daß die heiligen Handlungen auch nach außen durch angemessene Würde wirkten. Wir selbst haben, als Wir dem Brauch gemäß im Jahre 1943 zu den Fastenpredigern der Ewigen Stadt sprachen, sie mit Nachdruck ermahnt, ihre Zuhörer zu einer wachsenden Teilnahme am eucharistischen Opfer anzuspornen; und erst neulich haben Wir in der Absicht, das rechte Verständnis der liturgischen Gebete und die Erfassung ihres kostbaren Wahrheitsgehaltes zu fördern, das Buch der Psalmen, das in der katholischen Kirche einen großen Teil jener Gebete ausmacht, aus dem Urtext von neuem ins Lateinische übertragen lassen[8].

218. Während also diese Bestrebungen infolge ihrer heilsamen Wirkungen Uns nicht geringen Trost bereiten, fordert doch auch das Gewissen, daß Wir jene Erneuerungsbestrebungen im Auge behalten und sorgsam darauf achten, daß die Anregungen nicht ins Maßlose oder Fehlerhafte ausarten.

219. Wenn Wir nämlich einerseits mit großem Bedauern feststellen, daß in verschiedenen Ländern der Sinn für die heilige Liturgie, ihre Kenntnis und ihr Studium gelegentlich ungenügend sind oder fast ganz fehlen, so müssen Wir anderseits mit Besorgnis, ja mit Furcht wahrnehmen, wie einige allzu neuerungssüchtige Leute vom Weg der gesunden Lehre und der Klugheit abweichen. Den Plänen und Bestrebungen zur Erneuerung der Liturgie, an die sie herantreten, mischen sie häufig Auffassungen bei, die in der Theorie oder Praxis diese heilige Sache gefährden und bisweilen mit Irrtümern behaften, die den. katholischen Glauben und die aszetische Lehre berühren. Reinheit des Glaubens und der Sitte muß aber die hauptsächlichste Richtlinie dieser heiligen Wissenschaft sein, die mit der weisen Lehre der Kirche in allem übereinstimmen soll. Es ist demnach Unsere Pflicht, was gut ist, zu loben und zu empfehlen, was aber vom rechten Weg abweicht, in Schranken zu halten oder zu verwerfen. Es sollen jedoch die Säumigen und Lässigen nur nicht meinen, Wir wären mit ihnen zufrieden, weil Wir die Irrenden tadeln und die Allzukühnen zügeln; noch sollen die Unklugen es als Lob für sich deuten, wenn Wir die Nachlässigen und Zauderer zurechtweisen. Wenn Wir in Unserem Rundschreiben hauptsächlich von der lateinischen Liturgie sprechen, so geschieht das nicht, weil Wir die ehrwürdigen Liturgien der Ostkirche weniger schätzten; ihre Riten, durch alte und kostbare Urkunden überliefert, sind Uns ebenso teuer; das geschieht vielmehr wegen der besonderen Verhältnisse der abendländischen Kirche, die so geartet sind, daß sie das Eingreifen Unserer Autorität notwendig zu machen scheinen. 220. Alle Christgläubigen mögen deshalb gelehrigen Sinnes auf die Stimme des gemeinsamen Vaters hören, der nur wünscht, daß alle eng um ihn geschart, sich Gottes Altare nähern, den gleichen Glauben bekennend, dem gleichen Gesetze sich fügend, am gleichen Opfer in gleicher Gesinnung und mit gleicher Absicht teilnehmend. Das verlangt schon die Ehre Gottes; das fordern auch die Bedürfnisse der Gegenwart. Nachdem ein langer und grauenvoller Krieg die Völker durch Feindschaft und blutigen Tod sich gegenseitig entfremdet hat, mühen sich jetzt Menschen guten Willens, alle nach besten Kräften zur Eintracht zurückzuführen. Kein Planen und kein Unternehmen hat aber, so glauben Wir, hierbei eine größere Wirkung als der lebendige religiöse Eifer, von dem alle Christen beseelt sein und sich leiten lassen müssen, indem sie dieselben Wahrheiten aufrichtigen Herzens bekennen, den rechtmäßigen Hirten gern und willig gehorchen, Gott die gebührende Verehrung erweisen und eine brüderliche Gemeinschaft bilden, denn ein Leib sind wir viele, wir alle, die wir an einem Brote teilhaben[9].

 

I. Wesen, Ursprung und Entfaltung der Liturgie

 

221. Die erste Pflicht des Menschen ist es zweifelsohne, sich und sein Leben auf Gott hinzuordnen. „Er ist es, dem wir als unserem ewigen Urgrund vor allem verbunden sein müssen, auf den als letztes Ziel auch unsere Wahl immerfort zu richten ist, den wir verlieren, wenn wir ihn in der Sünde hintansetzen, und den wir durch den Glauben und das Bekenntnis des Glaubens wieder gewinnen müssen“[10].Der Mensch ist aber richtig auf Gott hingeordnet, wenn er dessen höchste Majestät und Lehrgewalt anerkennt, wenn er die von Gott geoffenbarten Wahrheiten bereitwillig aufnimmt, wenn er die von ihm erlassenen Gesetze in gläubiger Unterwerfung beobachtet, wenn er sein ganzes Tun auf ihn ausrichtet, wenn er, um es kurz zu sagen, durch die Tugend der Gottesverehrung dem einen und wahren Gott den gebührenden Kult und die gebührende Hingabe erweist.

222. Wenn diese Aufgabe in erster Linie den Einzelmenschen verpflichtet, so obliegt sie doch auch der ganzen durch soziale Bindungen gebildeten Menschengemeinschaft, da diese gleicherweise von Gottes höchster Autorität abhängt.

223. Dabei ist zu beachten, daß jene Pflicht die Menschen noch in besonderer Weise bindet, weil sie Gott nämlich zur übernatürlichen Ordnung erhoben hat. Wenn wir deshalb Gott als Gesetzgeber des Alten Bundes betrachten, so sehen wir, wie er auch über die sakralen Riten Vorschriften erläßt und genaue Richtlinien gibt, die das Volk bei dem ihm zu erweisenden gesetzmäßigen Kult einhalten soll. Er verordnete dementsprechend verschiedene Opfer und verschiedene Zeremonien zur Darbringung der ihm geweihten Gaben; alles bestimmte er genau, was die Bundeslade, den Tempel und die Festtage betraf. Er setzte einen Priesterstamm und einen Hohenpriester ein; sogar die Gewänder, welche die Kultdiener tragen sollten, bestimmte und beschrieb er, und was sonst noch zum Gottesdienst gehörte[11].

224. Indessen war dieser Gottesdienst nur ein schattenhaftes Bild[12] jenes Kultes, den der Hohepriester des Neuen Bundes dem himmlischen Vater erweisen sollte. Kaum nämlich ist das Wort Fleisch geworden[13], als es auch schon mit dem Priesteramt bekleidet sich der Welt offenbart, indem es sich dem Ewigen Vater unterwirft und diese Unterwerfung sein ganzes Leben hindurch ununterbrochen fortsetzt Beim Eintritt in die Welt spricht Christus: ... Siehe ich komme ... Deinen Willen, O Gott, zu erfüllen ...[14], und im blutigen Kreuzesopfer hat er dies wunderbar erfüllt : Kraft dieses Willens sind wir ein für allemal geheiligt durch die Hingabe des Leibes Jesu Christi[15]. Sein tatenreiches Menschendasein strebt diesem einen Ziele zu. Als kleines Kind wird er im Tempel zu Jerusalem dem Herrn dargestellt; als Knabe begibt er sich wieder dorthin; später betritt er den Tempel immer und immer wieder, um das Volk zu lehren und dort zu beten. Bevor er seine öffentliche Tätigkeit beginnt, beobachtet er ein vierzigtägiges Fasten; durch seinen Rat und sein Beispiel mahnt er alle, ihre Bitten bei Tag und bei Nacht an Gott zu richten. Er, der Lehrer der Wahrheit, erleuchtet jeden Menschen[16]damit die Sterblichen den unsichtbaren Gott gebührend anerkennen und nicht Söhne feigen Versagens seien zu ihrem Verderben, sondern Kinder des Glaubens, durch den das Leben gewonnen wird[17]. Als Hirt leitet er seine Herde, führt sie auf die Weide des Lebens und erläßt sein Gesetz so, daß niemand von ihm und dem rechten Wege, den er weist, sich abbringen lasse, sondern alle unter dem Hauch seines Geistes und in seiner Kraft heilig leben. Beim letzten Abendmahle begeht er in feierlicher Form das neue Pascha, dessen Fortbestand er durch die Einsetzung der heiligen Eucharistie sichert; am folgenden Tag bringt er, zwischen Himmel und Erde schwebend, das heilbringende Opfer seines Lebens dar und läßt seiner durchbohrten Brust gleichsam die Sakramente entströmen, die den Menschen die Schätze der Erlösung zuführen sollen. Bei alledem schaut er einzig auf die Ehre seines himmlischen Vaters und darauf, die Menschen mit immer größerer Heiligkeit zu erfüllen.

225. Nach seinem Einzug in die ewige Herrlichkeit will er, daß der Gottesdienst, den er im Laufe seines irdischen Lebens eingesetzt und ausgeübt hat, ununterbrochen weiterbestehe. Denn er überläßt die Menschheit keineswegs hilflos sich selbst, sondern wie er ihr durch seinen mächtigen und lebendig gegenwärtigen Schutz immerfort beisteht, indem er des Amtes eines Fürsprechers beim Vater waltet[18] kommt er ihr auch zu Hilfe durch seine Kirche, in der seine göttliche Gegenwart durch die Jahrhunderte fortdauert, die er zur Säule der Wahrheit[19] und Spenderin der Gnade bestimmt und durch sein Kreuzesopfer gegründet, geheiligt und auf ewige Zeiten gefestigt hat[20].


Letzte Änderung: 03.05.2012 um 23:08

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