Aktuell
103-Jähriger Pfarrer: "Mein Leben wäre verpfuscht, wenn ich nicht Priester wäre" |
Geschrieben von (pm) am 16.05.2022 |
Das Interview wurde einige Monate vor seinem Tod geführt.
Frage: Herr Pfarrer Gressung, wie geht es Ihnen heute?
Ich war erst kürzlich im Krankenhaus wegen meinem Blutbild. Momentan bin ich aber stabil. Da ich Probleme mit den Augen habe, kann ich nicht mehr lesen oder etwas schreiben. Deswegen hat mir meine Haushälterin vor Jahren einen Flachbettscanner gekauft, dessen Software den gescannten Text in Audio umwandelt und so kann ich die Texte hören. Dieser ist angeschlossen an mein Notebook. Darüber bin ich sehr froh. Mein tägliches Stundengebet bete ich auch mithilfe des Computers mit einer CD der Katholischen Blindenbücherei, die mir jeden Monat Stundenbuch und Lesehore auf CD zuschicken.
Frage: Fühlen Sie sich alleingelassen als Pfarrer im Ruhestand?
Ich bin kein trübsinniger, alter Priester. Ich wurde früher im alten Pfarrhaus in Reisbach und jetzt im Elternhaus meiner Haushälterin liebevoll umsorgt, darüber bin ich sehr dankbar. Ich begleite auch noch einige Menschen seelsorglich und betreue Gebetsgruppen. Wer mag, kann sich auch bei mir am Telefon aussprechen. Ich bete jeden Tag den Rosenkranz und halte regelmäßig eine Stunde Anbetung. Wenn es gesundheitlich möglich ist, zelebriere ich täglich die heilige Messe.
Frage: Warum wollten Sie Priester werden?
Schon als Kind, ich war sieben Jahre alt, habe ich, nach einer tiefen Gottesbegegnung den intensiven Wunsch verspürt, Priester zu werden. Im Gymnasium dachte ich mir, wenn ich nicht Priester werde, dann ist mein Leben verpfuscht. Ich bin jetzt 71 Jahre Priester und mit diesem "Beruf" bis heute sehr zufrieden.
Frage: Wer hat Sie als Kind geprägt in Ihrem Glauben?
Zuerst meine Eltern und dann der Kaplan meiner Heimatgemeinde, der zugleich auch mein Religionslehrer war. Er war für mich ein echtes Vorbild. Er konnte uns so von der Bibel erzählen, dass man das Gefühl hatte, man wäre selbst dabei. Ich weiß noch genau, als er uns davon berichtete, wie Jesus nach seiner Auferstehung den Jüngern erschien und wie er Petrus fragte, ob er ihn lieben würde. Der Kaplan hat das so erzählt, dass ich das Gefühl hatte, die Antwort komme direkt aus seinem Herzen. „Du weißt alles, Herr, du weißt, dass ich dich liebe.“ Ein weiteres Erlebnis mit dem Kaplan, das mich sehr geprägt hat, war seine Kniebeuge, wenn er am Tabernakel vorbei ging. Das hat mich als Kind tief beeindruckt. Ich kann mich auch noch an meine Erstkommunion erinnern.
Frage: Wann wurden Sie zum Priester geweiht?
Nach meinem Theologiestudium, das ich mit einem genehmigten Fronturlaub kurz vor dem Ende des Krieges in Freiburg im Breisgau beginnen durfte, wurde ich direkt vor Weihnachten im Jahr 1950 im Hohen Dom zu Trier zum Priester geweiht. Vor meinem Studium war ich allerdings noch beim Militärdienst im zweiten Weltkrieg. Ich war insgesamt acht Jahre in der Uniform. Das war für mich eine sehr bedrückende Zeit.
Frage: Haben Sie auch gekämpft?
Ja, leider war auch ich Teil dieser grausamen Kriegsmaschinerie. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich bei einem Gefecht in einem kleinen Dorf in Frankreich angeschossen wurde. Die Kugel traf mich mitten ins Herz. Ich fiel um, weil ich dachte, ich wäre tot. Aber die Kugel hat nur mein Augenglas zerstört, das um meinen Hals hing. Das war mein Glück. Ich blieb unversehrt. Gott hat mich damals gerettet, davon bin ich überzeugt. Ich bin auch in Afrikafeldzug von einem englischen Jagdflieger schwer verletzt worden. Ich konnte mich im letzten Moment vor den Kugeln unter dem Fahrzeug in Sicherheit bringen. Ich habe in dieser schrecklichen Zeit aber niemals meinen Glauben an Gott und das Gute verloren. Ich gründete einen sogenannten Soldatenkreis, durch den im Laufe des Krieges etwa 90 Soldaten gegangen sind und die dort durch die erfolgte religiöse und sittliche Bildung vor manchen Gefahren des Soldatenlebens bewahrt werden konnten und Stärkung in ihrem Glauben fanden. Darunter war auch übrigens der spätere Kardinal Friedrich Wetter. Nach dem Krieg erfuhr ich, dass dieser Soldatenkreis von einem höheren Offizier gedeckt wurde.
Frage: Sie haben viele Menschen sterben sehen. Wie verarbeitet man das?
Während des Afrikafeldzuges musste ich, als Hauptmann, die Toten identifizieren und einen Brief an die Eltern des Soldaten schreiben. Da habe ich dann nachts im Auto gesessen und bei Glimmerlicht Briefe geschrieben. Meine Aufgabe sah ich darin, die Eltern menschlich und christlich zu trösten. Noch während des Krieges habe ich dann mit einem Ordensmann aus Maria Laach, der selbst als Soldat im Krieg gekämpft hat, darüber gesprochen. Er hat mich gefragt, wie ich mit meiner christlichen Einstellung mit dem Dienst im Heer zurecht kam. Denn es passte einfach nicht zusammen. Ich habe ihm damals geantwortet: „Pater, ich war nie mit diesem furchtbaren Krieg einverstanden. Wir steckten alle in einem apokalyptischen Vorgang drin. Der einzige Ausweg war, sich innerlich davon zu befreien und seinen persönlichen Glauben zu leben und daran festzuhalten.“ Ich habe im Krieg sogar in Uniform Gottesdienste mitgefeiert und ministriert. Ich bin davon überzeugt, dass ich nur mit der Hilfe der Muttergottes Maria und der Fügung des Herrgotts den Krieg damals überlebt habe.
Frage: Herr Pfarrer Gessung, Sie haben eine besondere Nähe zur Gottesmutter?
Ja, ich lebe mein priesterliches Leben in totaler Hingabe an Jesus und Maria. In meiner Kindheit und Jugendzeit gab es noch eine tiefe Verehrung der Muttergottes in der Kirche in Deutschland, wie ich finde. Dies hat meine Liebe zu Maria geweckt und wachsen lassen. Ich vertiefe diese Beziehung jeden Tag. Die Muttergottes war mir in meinem ganzen priesterlichen Leben immer eine hilfreiche und tröstende Fürsprecherin bei ihrem Sohn. Selbst in meiner Hauskapelle steht eine Fatima-Madonna. Ich habe über 30 Jahre lang eine "Fatimagebetswache" gehalten und ich war Leiter der Marianischen Priesterbewegung in Deutschland, gegründet von Don Gobbi.
Frage: Haben Sie Angst vor dem Tod?
Nein, denn ich spüre eine besondere Nähe zum lieben Gott. Das tröstet mich und festigt mich innerlich. Er ist mit seiner Fürsorge immer bei mir, so dass ich ihm getrost meine letzten Stunden anvertrauen kann.
Frage: Sie sprechen vom "lieben" Gott?
Ja, denn der liebe Gott tut alles, was er macht, aus Liebe. Ich weiß, dass Gott bei jedem einzelnen Menschen dabei ist, bei allen Milliarden Menschen, die auf unserer Erde leben. Gott weiß alles, er kennt jeden unserer Gedanken, er ist mit seiner Liebe auch bei unserem Tod dabei.
Frage: Im Juli werden Sie Ihren 104. Geburtstag…
So Gott will, ja. Übrigens, mein Kaplan aus den Kindheitstagen wurde 105 Jahre alt. Vielleicht schaffe ich das auch noch. Aber ich überlasse es dem Herrgott, wieviel Lebenszeit er mir noch schenkt.
Frage: Was wünschen Sie sich denn zu Ihrem Geburtstag?
Ich habe keinerlei persönliche Wünsche mehr für mich. Ich erfreue mich an den kleinen Dingen im Alltag. Für mich hat sich mein Leben erfüllt. Ich bin meiner Berufung durch den Beistand Gottes und der Hilfe Mariens immer treu geblieben, das empfinde ich als große Gnade und tiefen Segen.
(Quelle: katholisch.de)
Letzte Änderung: 25.04.2023 um 20:34
Zurück