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Papst Franziskus: "Die Berufung zum Priestertum" (Auszüge aus der Ansprache vom 17.02.2022)

Geschrieben von (pm) am 28.06.2022
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Die Nähe zu Gott:

Das heißt, die Nähe zum Herrn, der vielfach nahe ist. »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben« – das ist die Stelle, wo das Johannesevangelium vom „bleiben“ spricht. »Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen. Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft sie ins Feuer und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten« (Joh 15,5-7).

Der Priester ist vor allem eingeladen, diese Nähe, diese Intimität mit Gott zu pflegen, und aus dieser Beziehung wird er all die nötige Kraft für seinen Dienst schöpfen können. Die Beziehung zu Gott ist gewissermaßen das Pfropfreis, das uns in einer fruchtbaren Verbindung hält. Ohne eine nennenswerte Beziehung zum Herrn wird unser Dienst ganz sicher steril werden. Die Nähe zu Jesus, der Kontakt mit seinem Wort, ermöglicht es uns, unser Leben mit dem seinem in Bezug zu setzen und zu lernen, an nichts, was uns widerfährt, Anstoß zu nehmen und uns vor den „Skandalen“ schützen. Wie der Herr selbst werdet auch Ihr Momente der Freude und der Hochzeit, der Wunder und der Heilungen, der Brotvermehrung und der Ruhe erleben. Es wird Zeiten geben, in denen man gelobt wird, aber es wird auch Zeiten der Undankbarkeit, der Ablehnung, des Zweifels und der Einsamkeit geben, bis zu dem Punkt, an dem man sagen muss: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Mt 27,46).

Die Nähe zu Jesus kann uns die Angst vor diesen Momenten nehmen – nicht, weil wir stark sind, sondern weil wir auf ihn schauen, uns an ihm festhalten und zu ihm sagen: »Herr, lass mich nicht in Versuchung geraten! Lass mich verstehen, dass ich einen wichtigen Moment in meinem Leben erlebe und dass du mit mir bist, um meinen Glauben und meine Liebe zu prüfen« (C.M. Martini, Incontro al Signore Risorto, San Paolo, 102). Diese Nähe zu Gott nimmt manchmal die Form eines Kampfes an: eines Ringens mit dem Herrn, besonders in Zeiten, in denen seine Abwesenheit im Leben des Priesters oder im Leben der ihm anvertrauten Menschen am stärksten zu spüren ist. Die ganze Nacht kämpfen und um seinen Segen bitten (vgl. Gen 32,25-27), das wird für viele eine Quelle des Lebens sein. Manchmal ist es ein Kampf. Ein Priester, der hier in der Kurie arbeitet - er hat eine schwierige Aufgabe, nämlich für Ordnung an einem Ort zu sorgen, er ist jung, - er erzählte mir, dass er müde nach Hause kam, er kam müde nach Hause, aber er ruhte sich vor dem Schlafengehen mit dem Rosenkranz in der Hand vor dem Bild der Muttergottes aus. Er brauchte diese Nähe, ein Mitarbeiter in der Kurie, ein Angestellter des Vatikans. Es gibt viel Kritik an den Leuten in der Kurie, bisweilen zu Recht, aber ich kann auch sagen und bezeugen, dass es hier Heilige gibt, das ist wahr.

Viele Krisen im Leben eines Priesters haben ihren Ursprung gerade in einem unzureichenden Gebetsleben, in einem Mangel an Intimität mit dem Herrn, in einer Reduzierung des geistlichen Lebens auf bloß äußerliche religiöse Praxis. Das will auch bei der Ausbildung unterschieden werden: Geistliches Leben ist das eine, religiöse Praxis das andere. „Wie steht es um dein geistliches Leben?“ – „Gut, gut. Ich meditiere morgens, ich bete den Rosenkranz, ich bete die 'Schwiegermutter' – die Schwiegermutter ist das Brevier – ich bete das Brevier und all das ... ich mache alles.“ Nein, das ist religiöse Praxis. Aber wie steht es um dein geistliches Leben? Ich erinnere mich an wichtige Momente in meinem Leben, wo die Nähe zum Herrn entscheidend dazu beitrug, dass ich mich auf den Beinen halten konnte, in dunklen Zeiten. Ohne die Intimität des Gebets, des geistlichen Lebens, der konkreten Nähe zu Gott durch das Hören des Wortes, die Feier der Eucharistie, die Stille der Anbetung, das Sich-Anvertrauen an Maria, die weise Begleitung durch einen Seelenführer, das Sakrament der Versöhnung, ohne diese konkreten Arten der Nähe ist ein Priester sozusagen nur ein müder Arbeiter, der nicht in den Genuss der Wohltaten für die Freunde des Herrn kommt. In der anderen Diözese habe ich die Priester gerne gefragt: „Und erzähl mir – sie erzählten mir von ihren Tätigkeiten – erzähl mir, wie gehst du ins Bett?“. Und sie haben das nicht verstanden. „Ja, ja, wie gehst du denn abends ins Bett?“ – „Ich komme müde nach Hause, esse einen Happen und gehe ins Bett, und vor dem Bett läuft der Fernseher...“ – „Ah, gut! Und schaust du nicht kurz beim Herrn vorbei, um ihm wenigstens gute Nacht zu sagen?“ Das ist das Problem. Mangel an Nähe. Es ist normal, müde von der Arbeit zu sein und sich auszuruhen und fernzusehen, das ist legitim, aber ohne den Herrn, ohne diese Nähe. Er hatte den Rosenkranz gebetet, er hatte das Brevier gebetet, aber ohne Vertrautheit mit dem Herrn. Er hatte nicht das Bedürfnis, dem Herrn zu sagen: „Ciao, bis morgen, vielen Dank!“ Es sind kleine Gesten, die die Haltung einer priesterlichen Seele offenbaren. Allzu oft wird zum Beispiel im priesterlichen Leben das Gebet als reine Pflichterfüllung gesehen, wobei vergessen wird, dass Freundschaft und Liebe nicht als äußere Regel auferlegt werden können, sondern eine grundlegende Entscheidung unseres Herzens sind. Ein Priester, der betet, bleibt ein Christ von der Wurzel her, der die in der Taufe empfangene Gabe voll verstanden hat. Ein Priester, der betet, ist ein Sohn, der sich ständig daran erinnert, dass er ein Sohn ist und dass er einen Vater hat, der ihn liebt. Ein Priester, der betet, ist ein Sohn, der sich in die Nähe des Herrn begibt.

Aber all das ist schwierig, wenn man keine festen Zeiten der Stille in den Tagesablauf integriert hat, wenn man nicht weiß, wie man die „Aktivität“ Marthas ablegen kann, um das „Dasein“ Marias zu lernen. Es ist schwierig, dem Aktivismus abzuschwören – oft ist der Aktivismus eine Flucht –, denn wenn man aufhört, sich mit etwas zu beschäftigen, kommt nicht sofort Friede in das Herz, sondern Melancholie; und um nicht in Melancholie zu geraten, ist man bereit, niemals innezuhalten. Da ist die Arbeit eine Ablenkung, um nicht in Melancholie zu geraten. Aber diese Trostlosigkeit ist ein bisschen der Punkt der Begegnung mit dem Herrn. Gerade wenn man die Melancholie annimmt, die der Stille entspringt, aus dem Verzicht auf Aktivität und viele Worte, aus dem Mut, sich aufrichtig zu prüfen, gerade dann erscheint alles in einem Licht und einem Frieden, der nicht mehr auf unseren eigenen Kräften und Fähigkeiten beruht. Es geht darum, zu lernen, den Herrn weiter in jeder Person wirken zu lassen und alles zu beschneiden, was unproduktiv und unfruchtbar ist und die Berufung verzerrt. Ausharren im Gebet bedeutet nicht nur, einer Praxis treu zu bleiben: Es bedeutet, nicht wegzulaufen, wenn eben das Gebet uns in die Wüste führt. Der Weg durch die Wüste ist der Weg, der zur Vertrautheit mit Gott führt, allerdings unter der Bedingung, dass wir nicht weglaufen, dass wir keine Wege finden, dieser Begegnung zu entkommen. In der Wüste „will ich ihm zu Herzen reden“, sagt der Herr über sein Volk durch den Propheten Hosea (vgl. 2,16).Das ist eine Frage, die sich der Priester stellen muss: ob er in der Lage ist, sich in die Wüste führen zu lassen. Die Seelenführer, die die Priester begleiten, müssen verstehen, müssen ihnen helfen und ihnen diese Frage stellen: Bist du fähig, dich in die Wüste zu begeben? Oder gehst du direkt in die Oase des Fernsehens oder sonst wohin?

Die Nähe zu Gott ermöglicht es dem Priester, mit dem Schmerz in unserem Herzen in Kontakt zu treten, der, wenn er angenommen wird, uns so weit entwaffnet, dass eine Begegnung möglich wird. Das Gebet, das wie ein Feuer das priesterliche Leben beseelt, ist der Schrei eines zerbrochenen und zerschlagenen Herzens, das – so sagt uns das Wort Gottes – der Herr nicht verschmäht (vgl. Ps 51,19). »Die aufschrien hat der Herr erhört, er hat sie all ihren Nöten entrissen. Nahe ist der Herr den zerbrochenen Herzen, und dem zerschlagenen Geist bringt er Hilfe« (Ps 34,18-19).

Ein Priester braucht ein Herz, das genügend Weite besitzt, um dem Schmerz der ihm anvertrauten Menschen Raum zu geben und gleichzeitig als Wächter die Morgenröte der Gnade Gottes anzukündigen, die sich gerade in diesem Schmerz zeigt. In der Gegenwart des Herrn das eigene Elend zu umarmen, anzunehmen und ihm darzubringen, wird gewiss die beste Schule sein, um nach und nach all dem Elend und dem Schmerz, denen er in seinem Dienst täglich begegnen wird, immer mehr Raum zu geben, bis er dem Herzen Christi gleicht. Und das bereitet den Priester auch auf eine andere Nähe vor: die zum Volk Gottes. In seiner Nähe zu Gott verstärkt der Priester die Nähe zu seinem Volk; und umgekehrt lebt er in der Nähe zu seinem Volk auch die Nähe zu seinem Herrn. Und diese Nähe zu Gott – das fällt mir auf – ist die erste Aufgabe der Bischöfe, denn als die Apostel die Diakone „erfinden“, da erklärt Petrus ihre Funktion und sagt: „Und uns – den Bischöfen – obliegt das Gebet und die Verkündigung des Wortes“ (vgl. Apg 6,4). Mit anderen Worten: Die erste Aufgabe des Bischofs ist das Gebet; und auch der Priester hat diese Aufgabe: zu beten.

Johannes der Täufer sagte: »Er muss wachsen, ich aber geringer werden« (Joh 3,30). Die Intimität mit Gott macht all dies möglich, denn im Gebet erfährt man, dass man in seinen Augen groß ist, und dann ist es für die Priester, die dem Herrn nahestehen, kein Problem mehr, in den Augen der Welt klein zu werden. Und dort, in dieser Nähe, ist es nicht mehr beängstigend, dem gekreuzigten Jesus ähnlich zu werden, so wie es im Ritus der Priesterweihe von uns verlangt wird. Das ist etwas sehr Schönes, aber oft vergessen wir es.


Letzte Änderung: 28.06.2022 um 22:04

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